Naturschutzpreis 2022
Auch in diesem Jahr würdigt die Stiftung Naturschutz Berlin außerordentliche Leistungen für den Naturschutz. Mit dem Berliner Naturschutzpreis, der 2022 wieder mit einem Festakt verliehen werden kann, zeichnet sie am 25. August im Konzertsaal der Siemensvilla in Lichterfelde Menschen und Projekte aus, die sich in besonderem Maße für die Flora und Fauna in der deutschen Hauptstadt einsetzen. Preisträger des zum 35. Mal ausgelobten Preises sind Naturschutzwart Stefan Materna und das Projekt Urbanität & Vielfalt.
Zur Preisverleihung sprechen Bettina Jarasch, Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz sowie Dr. Silke Karcher, Staatssekretärin für Umwelt und Klimaschutz und Vorsitzende des Stiftungsrates. Die Laudationen halten Dr. Josef Tumbrinck vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) und Sabine Riewenherm, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz (BfN).
Preisträger Stefan Materna
Schützer der Turmfalken
Seit über 30 Jahren setzt sich Stefan Materna ehrenamtlich für den Berliner Naturschutz ein. Das Wuhletal, die Marzahner und angrenzende Biotope sind sein Arbeitsplatz. Er pflegt Feuchtbiotope, schützt Amphibien und Reptilien und widmet sich vor allem mit großem Engagement dem Vogelschutz.
In der Großsiedlung Marzahn betreut er die steigende Zahl an Turmfalken, pflegt Nistkästen, beringt die Greifvögel und prüft ihren Bestand. Mit seinem Einsatz beweist Herr Materna, dass Naturschutz im Wohnungsbau funktionieren kann. Er sensibilisiert Wohnungsgenossenschaften, begeistert Anwohner*innen und unterstützt mit seiner großen Erfahrung die NABU-Wildvogelstation. Dank seiner jahrzehntelangen, intensiven Arbeit konnte eine große Sammlung wissenschaftlicher Daten über die Marzahner Falkenpopulation erstellt werden.
Woher kommt Ihre Begeisterung für den Naturschutz?
Meine Leidenschaft für den Naturschutz und insbesondere für die Turmfalken habe ich durch Zufall entdeckt. Ich bin ehemaliger Berufssoldat, wurde im Jahr `88 gesundheitlich aus der Bahn geworfen und musste leider nach einem langen Krankenhausaufenthalt meine Arbeit ganz aufgeben. In meinem Krankenzimmer habe ich einen Naturschützer kennengelernt, der mir von seiner ehrenamtlichen Arbeit berichtet hat. Das hat mich sehr fasziniert. Für mich war außerdem klar, dass ich mir etwas suchen muss, das mich anregt, da ich meiner alten Arbeit nicht mehr nachgehen konnte.
Wo stehen Sie heute?
Seit über 30 Jahren bin ich mittlerweile ehrenamtlich tätig und die Arbeit als Naturschutzwart und Mitglied der NABU Bezirksgruppe Marzahn füllt mich ganz aus. Die Arbeit macht mir Spaß, und ich habe dadurch viele Menschen und Institutionen kennengelernt. Und weil ich selbst als Fahrradfahrer und Camper ein Natur-Großverbraucher bin, will ich der Natur auch etwas zurückgeben.
Sie sind maßgeblich dafür mitverantwortlich, dass sich der Falkenbestand in Berlin-Marzahn während der letzten Jahrzehnte erholen und sogar stark vergrößern konnte. Wie war das möglich und was hat Sie dabei angetrieben?
In der Großbausiedlung Marzahn waren Ende der Achtziger Jahre fünf bis sechs Turmfalken bekannt, die sich auf Wohnungsbalkonen niedergelassen hatten – das war problematisch, sowohl für die Mieter*innen als auch für die Tiere. Turmfalken sind Wildtiere, die nicht angefüttert oder gezähmt werden sollten. Zu meiner notwendigen Aufgabe wurde es, Betonkästen an Hochhäusern anzubringen, in denen die Greifvögel brüten konnten. Die Nistkästen sind für die Turmfalken sehr wichtig, da der Brutbestand in den vergangenen Jahrzehnten erschreckend zurückging. Verursacht wurde der starke Rückgang durch die zunehmende Stadtsanierung, das Verschließen von Nistplätzen in Kirchtürmen oder anderen hohen Gebäudestrukturen. Die Turmfalken sind auf fremde Brutplätze in Krähennestern, Hohlräumen, Mauer- oder Fenstersimsen angewiesen, weil sie keine eigenen Nester bauen. Um geeignete Nistplätze zu ermöglichen, richten wir die Nisthilfen ein. Dadurch wird der Bestand geschützt und gefördert.
Wo werden diese Nisthilfen platziert?
Um die geringe Zahl der Brutpaare wieder zu stabilisieren, habe ich insgesamt 35 Nistkästen angebracht, in Trockenräumen unter den Dächern von Wohnkomplexen, öffentlichen Gebäuden und Strommasten. Diese Arbeit wäre allerdings nur schwer möglich, wenn Wohnungsgesellschaften wie die degewo und Deutsche Wohnen uns bei dieser Arbeit nicht so eine große Bereitschaft entgegenbringen würden. Es ist eine tolle Kooperation entstanden, dafür bin ich sehr dankbar. Durch die zusätzlichen Nistmöglichkeiten konnte sich der Falkenbestand in den letzten Jahren auf insgesamt 180 bis 250 Brutpaare erhöhen.
Wie begleiten Sie die Falken durch das Jahr?
Im Februar beginnt die Balz und die Besiedelung der Kästen, die Beringungen werden notiert und an die Vogelwarte Radolfzell am Bodensee übermittelt. Von Mitte April bis Mitte Mai ist die Brutzeit. Mit drei Kollegen erstelle ich jedes Frühjahr einen umfangreichen Brutbericht. Das hilft auch bei der Planung von Baumfällaktionen und der Einrichtung von Schutzzonen. Ich zähle die gelegten Eier und flügge gewordene Jungtiere, beobachte und beringe sie. In den Nistkästen sind die Turmfalken ungestört. Jedes Brutpaar zieht pro Jahr etwa fünf Jungvögel groß. Im Durchschnitt wird ein Tier aber nur zwei Jahre alt. Mitte August sind die Jungvögel ausgeflogen. Ende Oktober überprüfe ich dann die Nistkästen, gehe die Reviere durch und rüste nach, wo es nötig ist.
Welche Aufgaben übernehmen Sie außerdem?
Ich kontrolliere aktuell die Aufhängung von 400 Nistkästen für Singvögel und Fledermäuse in Parks und auf Friedhöfen. Das gehörte schon damals zu meinen ersten Aufgaben. Seit einiger Zeit pflege ich auch unsere Streuobstwiese, übernehme Schnitt- und Mahdarbeiten. Wo gemäht wird, sind auch viele Vögel – die möchte ich schützen. Ich melde außerdem die von mir festgestellten Niststellen von Greifvögeln, Eulen und Kolkraben dem zuständigen Amt und kontrolliere diese Niststellen.
Wie blicken Sie auf die Zukunft und was wünschen Sie sich dafür?
Wenn ich eines Tages aufhöre, weiß ich nicht, wer sich dann um die Marzahner Falken kümmern wird. Weil es ehrenamtliche Arbeit ist, springen die meisten Helfer*innen nach kurzer Zeit wieder ab. Ich wünsche mir, dass sich wieder mehr jüngere Leute dazu entschließen, sich im Vogel- und Naturschutz zu engagieren. Die Generationen nach uns brauchen bei dieser wichtigen Aufgabe viel Unterstützung. Und die ehrenamtliche Tätigkeit gibt einem so viel zurück! Ich hoffe außerdem, dass es noch üblicher wird, Nistkästen außen an Häusern anzubringen, denn dort können sie viel besser und ohne großen Aufwand kontrolliert werden. Außennistkästen bieten beste Brutbedingungen für die Turmfalken. Sie sind wartungsfrei, darum muss sich niemand kümmern. Und wir wissen inzwischen so viel über die Turmfalken, dass man an die Nistkästen nicht mehr ranmuss
Preisträger Urbanität und Vielfalt
Projekt zur Erhaltung gefährdeter Wildpflanzen
Naturschutz zum Mitmachen – das Projekt Urbanität & Vielfalt macht es möglich. Das seit 2016 bestehende Projekt lädt Familien, Privatpersonen und Kleingartenvereine dazu ein, urbane Flächen mit neuem Leben zu besiedeln.
Mit der Vermehrung und Ausgabe von Jungpflanzen gefährdeter Wildpflanzenarten aus regionalem Saatgut fördert das Projekt Interesse und Verständnis für biologische Vielfalt. Deutschlandweit werden ausgewählte Wildpflanzenarten ausgepflanzt und weitergepflegt - in Gärten, auf Balkonen oder auf einer Archefläche wie in Berlin.
Im Jelena-Šantić-Friedenspark etwa betreut das Projekt 900 Kleinbeete und vergibt Patenschaften an Bürger*innen. Dort werden 34 Wildpflanzenarten nachgezüchtet, geerntet und an anderen Standorten ausgebracht. Der Ort ist durch das Projekt zu einem familienfreundlichen Treffpunkt geworden.
Durch Urbanität & Vielfalt kann der Bestand von insgesamt rund 80 gefährdeten Wildpflanzenarten gestützt (gestützt oder geschützt?) werden. Mit einer fünfstelligen Teilnehmerzahl ist das Umweltbildungs- und Naturschutzprojekt das größte seiner Art und gewinnt Menschen auf Schulungen, Exkursionen und Biotoppflegeeinsätzen für den aktiven Naturschutz.
Seit 2016 vermehren Sie regionale, seltene Wildpflanzen, die dann in den jeweiligen Regionen zur weiteren Vermehrung an viele Helfer*innen ausgegeben werden. Was motiviert Sie dazu?
Derzeit bedroht nicht nur die Klimakrise das Wohl aller: Die Biodiversitätskrise, also der dramatische Verlust an Lebensräumen, Arten und Populationen, ist mindestens ebenso gefährlich und muss aufgehalten werden. Doch eine nachhaltige Änderung kann nur durch einen gesellschaftlichen Wandel erwirkt werden - und dafür ist Umweltbildung essentiell. Indem wir Menschen die Möglichkeit geben, sich an der Vermehrung unserer Projektpflanzen zu beteiligen und sich mit ihrem natürlichen Lebensraum und seinen Gefährdungsursachen zu beschäftigen, wirken wir der gefühlten Hilflosigkeit gegenüber dieser globalen Krise entgegen und erweitern das Bewusstsein um die Bedeutung der Biodiversität.
Weshalb ist es wichtig, sich nach der Vermehrung dieser Pflanzen aktiv um eine Ausbringung auf urbanen Flächen zu kümmern?
Traurig, aber wahr: Aufgrund der konventionellen Landwirtschaft bietet der urbane Raum mittlerweile für viele Arten einen geschützteren Lebensraum als das Land. Außerdem bieten Städte uns die Möglichkeit, öffentlichkeitswirksamer zu arbeiten, also insgesamt mehr Menschen zu erreichen und zu beteiligen. Dass die Projektpflanzen von U&V überwiegend dem Biotop Trockenrasen zugeordnet werden können, also insgesamt sehr dürre- und hitzeresistent sind, macht sie in Zeiten der Klimakrise natürlich nochmal interessanter für eine zukunftsfähige Umgestaltung urbaner Grünflächen. Hier haben wir deutlich gemerkt, dass das Interesse an einer Teilnahme am Projekt von Seiten öffentlicher Träger als auch privater Firmen über die Jahre zunahm.
Was macht Ihr Projekt für Helfer*innen, die Sie bei der Vermehrung und bei Pflanzaktionen unterstützen, so attraktiv und wie gewinnen Sie neue Freiwillige?
Wir geben uns Mühe, möglichst viele verschiedene Zielgruppen zu erreichen - denn die Biodiversität geht alle an! Dafür bespielen wir verschiedene Social-Media-Kanäle, haben eine Projekthomepage, verschicken monatliche Newsletter, bewerben unsere Veranstaltungen über den Umweltkalender und haben über die Jahre ein breites Netzwerk an Kooperationen aufgebaut. Mittlerweile läuft viel über Mund-zu-Mund-Propaganda und wir müssen uns kaum noch selber um eine Bewerbung kümmern - mitunter gab es sogar lange Wartelisten für unsere Pflanzenpatenschaften. . Aktuell arbeiten an unserem Projekt in Berlin und Brandenburg 1300 Pflanzenpat*innen mit. Ähnliches gilt für die Bereitstellung, Bepflanzung und die anschließende Pflege von Flächen durch Verbände, Kleingartenanlagen oder Schulen. Hier wie auch aus unserem Arbeitskreis bekamen wir das Feedback, dass vor allem die Möglichkeit der aktiven Beteiligung an Naturschutzmaßnahmen, die Erweiterung des eigenen Wissens und der Austausch mit Gleichgesinnten eine Teilnahme am Projekt so attraktiv machen. Auch die Attraktivität unserer Projektpflanzen wird wohl eine Rolle spielen!
Wie funktioniert die Beteiligung am Projekt für Freiwillige genau?
Freiwillige können unkompliziert im Naturschutz aktiv werden und dabei etwas über heimische Wildpflanzen lernen. Sie erfahren von deren Nöten und wie sie selbst deren Bedrohung entgegenwirken. Mitmachen können alle, die Lust haben, etwas für den Erhalt der biologischen Vielfalt zu tun. Es sichert den Pflanzen ein Zuhause: Sie können sie im Blumenkasten, auf dem Balkon, im Garten oder auf unserer Archefläche auspflanzen und helfen bei der praktischen Vermehrung.
Geerntetes Saatgut kann aber auch an uns zurückgeschickt werden - wir ziehen daraus Nachkommen an und bepflanzen damit geeignete naturnahe Standorte und Schauflächen in der Stadt.Zum Beispiel auf dem Gelände der OWA Tegel, im Schmetterlingshof der Märkischen Scholle in Tempelhof oder auf der Düne Wedding.
In Absprache mit den Naturschutzbehörden stärken wir auch direkt Populationen in Naturschutzgebieten wie der Dünenlandschaft Püttberge in Köpenick. Auch Kleingartenanlagen sind beteiligt. Auf unserer Archefläche im Jelena-Šantić-Friedenspark in Marzahn betreuen wir 900 Kleinbeete, für die Patenschaften übernommen wurden oder die von uns für die Vermehrung der Pflanzen genutzt werden. Die Archefläche ist gleichzeitig ein familienfreundlicher Treffpunkt, an dem wir jeden Samstag Pflegeeinsätze durchführen und wo unregelmäßig Veranstaltungen stattfinden.
Die Förderung des Projekts endet in diesem Jahr. Wie soll es weitergehen und was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Über die Jahre haben wir einen Arbeitskreis aufgebaut, eine Gruppe aus besonders engagierten Pflanzenpat*innen. Dieser Arbeitskreis soll das Projekt nach dem Förderende in verringertem Maße fortführen. In diesem Jahr wurden sechs praktische Kleinprojekte gestartet, welche von den AKler*innen schon eigeninitiativ umgesetzt werden. So wird derzeit zum Beispiel eine Anzuchtfläche in Lichterfelde aufgebaut.
Wir sind beeindruckt vom ehrenamtlichen Engagement dieser Menschen und werden deren Vorhaben auch nach Projektende so lange wie möglich weiter begleiten und unterstützen. Jedoch sehen wir auch die Dringlichkeit für insgesamt mehr und vor allem für unbefristete Stellen im Naturschutz und möchten daher eher mit einem dringenden Appell denn einem Wunsch abschließen: Die Bewahrung der Biodiversität sollte nicht auf den Schultern Freiwilliger lasten!
Antworten: Gesa Domes, Jakob Schulz, Christian Schwarzer (Projektkoordination Berlin-Brandenburg)