Wild, selten, schützenswert
Interview mit Florenexperte Justus Meißner zur „Pflanze des Monats“

Jeden Monat rückt die „Pflanze des Monats“ der Stiftung Naturschutz Berlin eine spannende, oft bedrohte Pflanze ins Rampenlicht, die mehr Beachtung verdient – bereits mehr als 140 Arten wurden vorgestellt. Zum „Tag der Pflanze“ am 13. April sprechen wir mit Justus Meißner, dem Leiter der Koordinierungsstelle Florenschutz der Stiftung Naturschutz Berlin. Wie wird die „Pflanze des Monats“ ausgewählt? Wie steht es um Wildpflanzen in Berlin? Und was können wir tun, um sie zu retten?
Hallo Herr Meißner, wieso wurde die „Pflanze des Monats“ ins Leben gerufen?
Als wir 2009 mit der Koordinierungsstelle Florenschutz begonnen haben, war schnell klar: Wir müssen auch Öffentlichkeitsarbeit leisten und regelmäßig informieren. Denn Pflanzen stehen in der öffentlichen Wahrnehmung oft nicht im Mittelpunkt. Gleichzeitig haben wir festgestellt, dass durchaus ein Interesse an ihnen besteht. So kam die Idee auf, jeden Monat eine unserer Florenschutzzielarten auf der Webseite vorzustellen – damit die Menschen unsere besonderen und schützenswerten Arten besser kennenlernen.
Welche der vorgestellten Pflanzen hat Sie persönlich am meisten überrascht oder begeistert?
Ich kenne mich natürlich gut mit Pflanzen aus – das ist ja auch mein Beruf –, aber trotzdem weiß ich nicht über jede einzelne Art jedes Detail. Besonders überrascht hat mich die Schuppenwurz (Lathraea squamaria), die im Mai 2010 „Pflanze des Monats“ war. Sie hat keine grünen Blätter und lebt größtenteils unterirdisch. Das Faszinierende: Sie braucht etwa zehn bis vierzehn Jahre, bis sie überhaupt alt genug ist, um zu blühen – und erst dann wird sie sichtbar. Sie wächst an Wurzeln von Bäumen und Sträuchern in feuchten Wäldern. Nur wenn sie im Frühjahr blüht, taucht sie mit ihren rosafarbenen Blüten über der Erde auf. Gerade jetzt kann man sie mit etwas Glück entdecken. Wer neugierig ist, findet die Pflanze auch auf unserer Webseite unter: https://www.stiftung-naturschutz.de/aktuelles/pflanze-des-monats/schuppenwurz
Wie wählen Sie die „Pflanze des Monats“ aus, und welche Kriterien spielen dabei eine besondere Rolle?
Das wichtigste Kriterium ist die Blütezeit – wir versuchen, Pflanzen auszuwählen, die zur Veröffentlichungszeit auch tatsächlich blühen. Aber es geht nicht nur um auffällige Blüten. Auch unscheinbare Arten wollen wir vorstellen, was wir teilweise im Winter machen. Außerdem achten wir auf Vielfalt – sowohl bei den Blütenfarben als auch bei den Lebensräumen. Es soll also nicht ein ganzes Jahr lang nur Wiesenpflanzen geben, sondern auch Arten aus Gewässern, Feldern oder anderen Habitaten.
Gibt es eine seltene oder bedrohte Pflanze in Berlin, von der Sie sich wünschen würden, dass sie mehr Bekanntheit erlangt? Warum?
Das ist immer ein zweischneidiges Schwert. Einerseits ist Aufmerksamkeit wichtig, um die Schutzbedürftigkeit zu vermitteln. Andererseits besteht die Gefahr, dass Leute die Pflanzen in der freien Natur aufsuchen und womöglich sogar abpflücken. Leider passiert das immer noch, etwa bei Orchideen oder Küchenschellen, die von ihren natürlichen Standorten entwendet werden. Trotzdem fände ich es schön, wenn die eben erwähnte Schuppenwurz bekannter würde – schon allein, weil sie ein so ungewöhnliches Leben führt und unsere klassische Vorstellung von Pflanzen infrage stellt.
Was können Berlinerinnen und Berliner konkret für gefährdete Pflanzen tun?
Die Arten, mit denen wir uns beschäftigen, sind oft extrem selten und stark vom Aussterben bedroht. Deshalb ist es zum Beispiel in Naturschutzgebieten besonders wichtig, die Wege nicht zu verlassen. Viele Menschen erkennen nicht, was dort wächst, und könnten unbeabsichtigt Schaden anrichten. Wer sich an die Regeln hält, hilft schon viel. Und auch bei weniger gefährdeten Pflanzen reicht oft schon ein bewussterer Umgang: nicht gedankenlos Pflanzen abreißen, sogenannte „Unkräuter“ nicht überall entfernen – denn manche davon sind ebenfalls bedroht.
Wie steht es denn generell um Wildpflanzen in Berlin?
Das ist sehr unterschiedlich. Berlin gilt zwar als sehr artenreich, aber viele dieser Arten profitierten früher von den Stadtbrachen – offenen, ungenutzten Flächen. Diese verschwinden zunehmend durch Bebauung. Besonders Ruderalpflanzen, also Arten, die auf solchen Brachen gedeihen, verlieren ihren Lebensraum. Und diese Flächen lassen sich nicht einfach durch gepflegte Parks ersetzen. Es braucht auch wilde, naturnahe Bereiche, um diesen Arten eine Zukunft zu geben.
Was wünschen Sie sich perspektivisch für Berliner Wildpflanzen?
Ich wünsche mir vor allem, dass die sogenannte „Pflanzenblindheit“ abnimmt. Damit ist gemeint, dass viele Menschen Pflanzen kaum wahrnehmen – während Tiere sofort Aufmerksamkeit bekommen. Wenn zum Beispiel ein Reh auf einer Wiese steht, sehen alle das Reh, aber kaum jemand achtet auf die Pflanzen daneben. Dieses Phänomen ist sogar wissenschaftlich belegt. Viele Menschen können außerdem kaum eine heimische Pflanzenart benennen. Ich hoffe, dass künftig auch die kleinen, unscheinbaren Wildpflanzen mehr Beachtung finden – nicht nur die großen, auffällig blühenden Arten, wie man sie im Gartencenter findet.
Interview: S. Bengelsdorf