Großmöwen in Berlin
Küstenvögel erobern die Hauptstadt
Was einst ein seltener Anblick war, ist heute ein fester Bestandteil der Berliner Stadtnatur: Großmöwen, ursprünglich als Küstenvögel bekannt, brüten zunehmend auf den Dächern der Hauptstadt. Besonders bemerkenswert ist dabei die Artenvielfalt – mehrere Großmöwenarten haben sich in Berlin als Brutvögel etabliert. Der folgende Blogbeitrag von Timo Bauer gibt einen Überblick über hier vorkommende Arten.

Rasante Entwicklung – und wer brütet da eigentlich?
Bereits 2010 wurde das erste Brutpaar einer Silbermöwe auf einem Berliner Dach dokumentiert. Zuvor nutzten Großmöwen die Stadt und ihre Biotope nur zur Rast. In den folgenden Jahren kamen weitere Arten hinzu: Steppenmöwen begannen ebenfalls zu brüten und in geringer Zahl die Mittelmeermöwe. Auch Hybridisierungen (Verpaarungen zweier Arten), etwa zwischen Silber- und Steppenmöwen, wurden festgestellt. Die Heringsmöwe ist in Berlin bisher nur als Durchzügler vorgekommen, eine baldige Ansiedlung ist nicht auszuschließen.
Im Laufe der 2010er Jahre stieg die Zahl brütender Paare kontinuierlich. Mittlerweile wird bereits von knapp 200 Brutpaaren ausgegangen, von denen der Großteil in Brutkolonien auf einzelnen Gebäuden im Stadtzentrum ansiedelt ist– ein rasanter Anstieg, der nicht nur die erfolgreiche Anpassung dieser Vögel an urbane Lebensräume zeigt, sondern auch eine kleine ornithologische Sensation für Berlin darstellt.
Die Großmöwen Berlins im Überblick
Silbermöwe (Larus argentatus)
Merkmale: Silbergrauer Rücken, fleischfarbene Beine
Status in Berlin: Seit 2010 brütend

Steppenmöwe (Larus cachinnans)
Merkmale: Flacher Kopf, oft dunkle Iris, blassgelbe oder fleischfarbene Beine
Status in Berlin: Seit Mitte 2010er-Jahre brütend

Mittelmeermöwe (Larus michahellis)
Merkmale: Kräftiger Schnabel, gelbe Beine
Status in Berlin: Einzelne Brutpaare nachgewiesen

Hybride (z. B. argentatus × cachinnans)
Mermale: Mischformen in Aussehen und Verhalten
Status in Berlin: Zunehmend beobachtet
Hinweis: Die sichere Bestimmung der Arten – insbesondere bei Hybriden – ist oft selbst für erfahrene Ornitholog*innen eine Herausforderung. Merkmale wie Schnabelform, Kopfproportionen, Beinfärbung und Rufverhalten geben Hinweise.
Warum zieht es Großmöwen weg von der Küste?
Traditionell sind die Vögel eng an Küsten gebunden, wo sie überwiegend Nahrung in Form von Fisch finden. Doch durch den Rückgang des Fischereibetriebs, veränderte Umweltbedingungen und die zunehmende Bebauung der Küste für touristische Zwecke wandern viele Großmöwen in Richtung Binnenland ab und erschließen nun vermehrt auch urbane Gebiete. Nicht zuletzt auch aufgrund der Fülle der Nahrungspalette.
Brutverhalten auf Berlins Dächern
Die Möwen brüten hier bevorzugt auf Flachdächern größerer Gebäude mit Kiesstruktur– erinnert an das primäre Bruthabitat an der Küste – und in Einzelfällen auch auf Gründächern. Der Nistplatz in großer Höhe ermöglicht einen guten Überblick und bietet Schutz vor vielen Beutegreifern. Ungünstig ist der Mangel an Wasser im Bruthabitat. Jungvögel sind daher vorwiegend auf Wasseraufnahme durch die Nahrung angewiesen (auch in der Stadt überwiegend Fisch). Zudem können noch nicht flugfähige Jungvögel bei Einschüchterung leicht von der Dachkante stürzen.
Trotz der Widrigkeiten zeigt sich, dass der Bruterfolg der Großmöwen in der Stadt sich bislang gut entwickelt.
Und was ist mit den kleinen Verwandten?


Neben den Großmöwen sind in Berlin auch kleinere Möwenarten wie die Lachmöwe – die häufigste Möwenart der Stadt – und die Sturmmöwe unterwegs. Lachmöwen brüten in Kolonien an Gewässern und sind leicht am schokoladenbraunen Kopf im Sommer zu erkennen. Sturmmöwen sind etwas größer als Lachmöwen, mit hellen Beinen und sanftem Ruf – meist Wintergäste, gelegentlich auch Brutvögel.
Schutz und Mitmachen
Die Möwen sind mittlerweile fester Bestandteil der urbanen Fauna – und zugleich ein sensibles Thema im Stadtökosystem. Deshalb gilt:
- Brutplätze nicht stören oder betreten
- Keine Möwen füttern – menschliches Essen kann gesundheitsschädigend sein, aktives Füttern fördert zudem problematisches Verhalten
- Sichtungen dokumentieren und ggf. auf lokalen Portalen melden (z. B. berlin.artenfinder.net)
Fazit
Großmöwen in Berlin sind mehr als nur laute Besucher auf Einkaufszentren – sie sind faszinierende Stadtvögel, die sich erfolgreich in einem neuen Lebensraum etabliert haben. Ihre Präsenz ist ein lebendiges Beispiel für biologische Anpassung, Urbanisierung und die unerwarteten Wege, die Natur manchmal geht.

Timo Bauer ist Biologe mit dem Schwerpunkt Natur- und Artenschutz. Wenn er nicht gerade für die Stiftung Naturschutz Berlin im Einsatz ist, zieht es ihn in die Natur – ob in den Wald, auf blühende Wiesen oder in grüne Stadtparks. Seine Leidenschaft für die biologische Vielfalt spiegelt sich auch in seinem Werdegang wider: Bevor er zur Stiftung kam, war er bereits als Ökologe aktiv und wirkte an verschiedenen Forschungs- und Schutzprojekten mit – sowohl in Deutschland als auch im internationalen Raum.