Die Vielfalt im Blick

Pflanze des Monats Januar 2015

Übersehenes Raues Mariengras Hierochloe hirta subsp. praetermissa Weimarck

Selbst in der Mitte Europas lässt sich in der Pflanzenwelt noch Neues entdecken. So wurde das Übersehene Raue Mariengras erst 1987 als eigene Unterart erkannt. Man braucht jedoch viel Glück, um das unscheinbare, von Mitteleuropa bis Westsibirien zerstreut vorkommende Gras überhaupt einmal zu Gesicht zu bekommen, denn es ist den Sommer über in der hohen Vegetation von Feuchtwiesen und -weiden verborgen. Am besten ist es von April bis Juni zu entdecken, da es früher als die umgebenden Gräser blüht. Sobald das Übersehene Raue Mariengras gemäht ist und zu trocknen beginnt, entströmt den Grasschwaden zudem ein bezaubernder, an Vanille und Waldmeister erinnernder Duft. Dieser ist auf den Inhaltsstoff Kumarin zurückzuführen, der in allen Gräsern der Gattung Hierochloe enthalten ist und der dazu führte, dass diese Gräser in ihrem Verbreitungsgebiet auf der Nordhalbkugel gern für religiöse und kultische Handlungen verwandt wurden. Der besondere Status dieser Gräser spiegelt sich in ihren Namen wieder. So nimmt der Name „Mariengras“ auf die Jungfrau Maria Bezug, in Nordamerika wird das „holy grass“, „sweet grass“ oder „vanilla grass“ zudem von vielen Indianerstämmen zu Räucherzeremonien, als Medizin und als duftendes Flechtmaterial genutzt.

Eine Besonderheit stellt auch die Vermehrung des Übersehenen Rauen Mariengrases dar: die Samen bilden sich ohne Bestäubung direkt aus der Samenanlage der Mutterpflanze, sind also Klone. Sie werden durch den Wind und an Tieren angeheftet verbreitet. Daneben kann sich die Art aber auch vegetativ über unterirdische Ausläufer vermehren. In Deutschland erreicht das Übersehene Raue Mariengras die äußerste Westgrenze seines Verbreitungsgebietes und wurde bisher nur in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Berlin nachgewiesen. Seit Mitte des 20. Jh. ist die Art hier stark zurückgegangen, was vor allem auf das Brachfallen und die Umstellung der traditionellen Heu-Nutzung von Feuchtwiesen auf sporadische, einschürige und zu späte Mahd zurückgeführt wird. Hierdurch wird die Ausbreitung von Großseggen und Schilf begünstigt, welche die konkurrenzschwache Art verdrängen. In Berlin ist das Übersehene Raue Mariengras stark gefährdet und nur noch in wenigen kleinen Beständen, z. B. im NSG Gosener Wiesen, auf dem Schmöckwitzer Werder (beide Treptow-Köpenick) sowie im NSG Pfaueninsel (Steglitz-Zehlendorf), anzutreffen.

Helfen Sie mit, das Übersehene Raue Mariengras in Berlin zu erhalten. Achten Sie auf Vorkommen in der Umgebung der Gosener Wiesen und entlang der Havel und informieren Sie uns bei einem Fund per E-Mail – am besten mit  Fotobeleg. Vielen Dank!

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