Pflanze des Monats Mai 2023
Schlangenäuglein Asperugo procumbens
Pflanzen sind fest verwurzelt und bleiben immer ihrem Lebensraum treu? Nicht alle. Es gibt auch Vagabunden unter ihnen, die es nicht lange an einem Ort hält. Sie treten spontan an unterschiedlichen Orten auf und verschwinden auch wieder. Meist handelt es sich hier um Arten, die an unbeständige Lebensräume wie nährstoffreiche Ruderalflächen, Komposthaufen und Schuttablagerungen gebunden sind, die häufig durch den Einfluss von Menschen entstehen und verschwinden.
Das Schlangenäuglein (Asperugo procumbens L.) ist so eine Pflanze und weist die typischen Merkmale eines Vagabunden auf. Sie ist einjährig, schnellwüchsig und selbstbestäubend, damit auch dann Samen produziert werden können, wenn nur eine einzige Pflanze am Standort keimt. Ihre Früchte werden durch Klettausbreitung an weit entfernte Orte getragen. So kann sich die Art neue Lebensräume erschließen.
Stachelige Kletterhelfer
Asperugo procumbens ist krautig und wächst kletternd und niederliegend. Er gehört zu den Raublattgewächsen und seine oberirdischen Pflanzenteile sind rau behaart. Es wird auch Niederliegendes Scharfkraut genannt, was sich vom wissenschaftlichen Namen ableitet. Das lateinische Wort asper bedeutet rau oder scharf und procumbens niederliegend.
Der Stängel ist wenig verzweigt, kantig und wird bis zu 1 m lang. Die rückwärts gerichteten Stacheln an den vier bis fünf Kanten helfen beim Klettern. Die Blätter sind eilanzettlich, 2-6 cm lang und am unteren Stängel wechselständig angeordnet. Nach oben hin werden die ganzrandigen Blätter kleiner und stehen zu zweit oder mehreren eng beieinander.
Das Schlangenäuglein blüht von Mai bis August. Die Blüten sind mit ihren 4 mm Länge sehr klein. Sie stehen meist einzeln in den Blattachseln und sind erst violett, später blau gefärbt. Die Kronröhre hat weiße Schlundschuppen und endet in fünf Kronzipfeln. Der Blütenkelch verändert sich bis zur Fruchtreife stark. Während der Blüte ist er mit etwa 2 mm langen Kelchblättern klein. Zur Fruchtreife vergrößern sie sich stark auf 15 mm und bilden einen abgeflachten, zweiklappigen Kelch mit gebogenen Zähnen, der für eine effektive Klettausbreitung der vier Klausenfrüchte sorgt.
Ein Kulturfolger
Das Schlangenäuglein ist eine Halblichtpflanze, die sich auf humusarmen, lockeren Ton- und Lehmböden wohlfühlt, die mäßig trocken, kalkhaltig und sehr stickstoffreich sind. Häufig sind das von Menschen besiedelte Orte, weshalb es zu den Kulturfolgern gehört. Historisch war es an nährstoffreichen dörflichen Ruderalstellen, in Vorgärten, auf Hofplätzen, Komposthaufen oder an Wegrändern zu finden.
Sein Verbreitungsgebiet befindet sich in Eurasien, schwerpunktmäßig im östlichen Mitteleuropa und Osteuropa. In Nordamerika tritt es als Neophyt ebenfalls auf.
Im Jura in Süddeutschland ist das Schlangenäuglein die namensgebende Art einer speziellen Pflanzengemeinschaft, der Scharfkraut-Balmengesellschaft, die unter weit vorspringenden Felsdächern, den Balmen, wächst. Dort sind auf kalkreichem Grund ideale Bedingungen für die Pflanze gegeben. Der Boden ist unter den Vorsprüngen durch übernachtende Tieren häufig nährstoffreich. Die Nutzung von Jägern und Hirten vor Jahrtausenden hat die Nährstoffanreicherung unter den Felsdächern wohl ebenfalls gefördert.
Unordnung ist gut
Durch die Verstädterung dörflicher Siedlungen ist das Schlangenäuglein gefährdet. Die Versiegelung offener Standorte, Überschüttung, Auffüllung, Rasenansaat, Kiesgärten und weitere Maßnahmen nehmen ihm den Lebensraum. In der Flora Preußens von 1841 wurde es noch als häufige Art beschrieben. In Berlin war es zum Beispiel am Potsdamer, Schlesischen und Frankfurter Tor zu finden.
Auf der Roten Liste Deutschland ist es heute als stark gefährdet mit einem langfristig starken Rückgang vermerkt, genau wie auf der Roten Liste Berlin. Kurzfristig ist hier allerdings eine Zunahme beobachtet worden. Die unstete Ruderalart taucht ab und zu auf Friedhöfen, an Baustellen und an Kompostlagerflächen auf, verschwindet dann aber auch wieder. Beispiele für solche Funde gibt es aus Schöneberg, Friedenau und Marienfelde. In einer Weidelandschaft im Süden von Berlin scheint sich die Art dagegen an sehr nährstoffreichen Stellen etabliert zu haben.
Geben Sie dem Schlangenäuglein und anderen Pflanzen eine Chance, in dem Sie in Ihrem Garten auch Unordnung zulassen. Viele früher als „Unkraut“ bezeichneten Pflanzen sind heute selten und bedroht.
Sollte Ihnen auf Ihren Spaziergängen ein solcher Vagabund begegnen, freuen wir uns sehr über eine Fundmeldung per E-Mail mit Fotobeleg. Vielen Dank!
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