Die Vielfalt im Blick

Pflanze des Monats August 2022

Heide-Labkraut Galium pumilum Murray s. str.

Wer denkt, verschollen geglaubte Arten wiederzuentdecken sei chancenlos, hat sich in diesem Fall erfreulicherweise geirrt. Auch in der Berliner Stadtnatur schlummern noch unentdeckte botanische Schätze. Eine dieser Raritäten ist das Heide-Labkraut, dessen historische Berliner Vorkommen lange Zeit als ausgestorben galten. Nun wurde 2021 eines dieser Vorkommen in Berlin nach 60 Jahren wiederentdeckt. Gut behütet vor Eingriffen in seinen Lebensraum hat eine kleine Population des Heide-Labkrauts vermutlich all die Jahre auf der Pfaueninsel, eines der ältesten Berliner Naturschutzgebiete, im Verborgenen überlebt.

Geschultes Auge unerlässlich

Da die Samen des Heide-Labkrauts nur eine geringe Lebensdauer im Boden haben, kann davon ausgegangen werden, dass dieses kleine Vorkommen schlichtweg über Jahrzehnte unentdeckt blieb. Bei seinen winzigen Blüten mit wenigen Millimetern Durchmesser und dem filigranen Wuchs ist das kaum verwunderlich. Hinzu kommt die hohe Verwechslungsgefahr mit nahe verwandten Labkräutern, sodass selbst die Expert*innen die Lupe zur Hand nehmen müssen.

Ein echter Europäer

Das Heide-Labkraut hat ein kleines europäisches Verbreitungsgebiet, in welchem es nur gebietsweise vorkommt. Das Zentrum seiner Verbreitung liegt in Mitteleuropa, in Westeuropa reichen seine Vorkommen bis Frankreich und England. Im Süden seines Verbreitungsgebiets bilden große Gebirgszüge, wie die Pyrenäen, die Alpen und die Karpaten, natürliche Ausbreitungsgrenzen. In Küstenregionen fehlt das Heide-Labkraut weitestgehend. Begünstigt durch den Menschen konnte sich das Heide-Labkraut im Laufe der Zeit im Norden Europas etablieren, etwa in Dänemark, Schweden und Island.

Scharfe Verbreitungsgrenze

Deutschland zählt mit ein bis zwei Dritteln des Weltareals zum Hauptverbreitungsgebiet des Heide-Labkrauts. Deshalb ist Deutschland für die weltweite Erhaltung der Art in besonderem Maße verantwortlich. Hier ist das seltene Labkraut aber vorrangig in den Mittelgebirgen anzutreffen.  Die Vorkommen dieser Art reichen nur östlich des Harzes bis zur Elbe und nördlich des Erzgebirges bis in die Oberlausitz. Nördlich dieser scharfen Verbreitungsgrenze sind nur extrem wenige isolierte Vorkommen in Nordostdeutschland bekannt. Daher freut uns dieser Wiederfund ganz besonders!

Name ist Programm

Das Heide-Labkraut (auch Triften-Labkraut genannt) ist ein Relikt der historischen Kulturlandschaft – nämlich der Heide- und Hutelandschaft. Früher wurden nährstoffarme und trockene Flächen und lichte Wälder, die nicht für den Ackerbau oder zur Wiesennutzung geeignet waren, mit Schafen beweidet. Die genügsamen Weidetiere hielten durch das Grasen und den Tritt die Landschaft weitestgehend offen und förderten zahlreiche lichtliebende und eher konkurrenzschwache Wildpflanzen.

Das Heide-Labkraut ist nicht nur auf typischen Heideflächen zu finden. Es fühlt sich auch auf nährstoffarmen Trocken- und Halbtrockenrasen sowie in lichten bodensauren Laubwäldern mit artenreicher Krautschicht wohl. Insbesondere solche mageren Lebensräume sind durch Stickstoffeinträge aus Verbrennungsprozessen, wie zum Beispiel dem Autoverkehr, und der Landwirtschaft bedroht, außerdem durch Nutzungsänderungen. Im urbanen Raum verschwinden viele Standorte zusehends durch Überbauung.

Beweidung wieder im Trend

Lange war die Nutzungsform der extensiven Beweidung aus der Mode gekommen und nicht mehr rentabel. Doch aktuell erlebt sie ein Comeback. Zum Erhalt alter Kulturlandschaften sowie zur Landschaftspflege im Naturschutz werden heute verträgliche Weidekonzepte gezielt eingesetzt. Für das Heide-Labkraut könnte das eine echte Überlebenschance darstellen. Denn die Tiere übernehmen ganz unbewusst auch die Ausbreitung der Samen, die gut an der Schafwolle haften.

Zwischenstopp Botanischer Garten

Bevor es zu spät ist, können vom Aussterben bedrohte Arten auch in Erhaltungskulturen genommen werden. Dafür werden meist Samen oder sogar ganze Pflanzen entnommen. In Botanischen Gärten können auf diese Weise lokale Populationen erhalten und vermehrt werden, um zukünftig durch Wiederausbringungen die Wildpflanzenvorkommen zu unterstützen.

Ein zweiter Blick lohnt sich hin und wieder. Sollten Sie auf Ihren Spaziergängen das Heide-Labkraut entdecken, freuen wir uns sehr über eine Fundmeldung per E-Mail mit Fotobeleg. Vielen Dank!

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