Auf zu neuen Ufern: Die Wetland Structures
Eine schöne Vision: Berliner Wasserwege sind kleine Paradiese, sie leiten entlang an grünen Ufern, Schwebfliegen und Schmetterlinge flattern durch die Luft, Enten und Fische umschwimmen bewachsene Inseln, Kraniche bewegen sich zwischen Grün und Nass. Kleine Biotope haben eine große Wirkung für die Artenvielfalt. Das ist die Vision von Ralf Steeg, Diplom-Ingenieur und Projektmanager der Water Innovation Technology Engineering GmbH (WITE GmbH).
Die Berliner Realität sieht – bisher – leider ganz anders aus. Grüne Uferstreifen in der Berliner Innenstadt fehlen fast komplett. Hier werden Tieren die Verbindungen zwischen Wasser und Land abgeschnitten, eine vielfältige Tier- und Pflanzenwelt gibt es kaum. Feuchtgebiete und Flachwasserzonen, die für viele Lebewesen sehr wichtig sind, fehlen in den kanalisierten Gewässern der Hauptstadt, die schon jahrhundertelang durch undurchdringliche und unüberwindbare Stahlwände und Mauern vom Land getrennt sind.
Dabei sind solche naturnahen Ufer von Flüssen und Kanälen für Pflanzen, Amphibien, Insekten und deren Larven, Fische und mit dem Wasser lebende Säugetiere ein idealer, artenreicher Lebensraum. Wegen der industriellen Bebauungen der Ufer, wegen Schifffahrt, Straßen, Gebäuden und Uferwanderwegen in Großstädten wie Berlin fehlen ihnen ganze Ökosysteme.
Vision wird Wirklichkeit
Ralf Steeg will das ändern. Seine Vision ist jetzt ein Stück weit Wirklichkeit geworden und soll mit all ihrer Strahlkraft ein Zeichen für die Zukunft setzen: Seine „Wetland Structures“, zwei künstlich bepflanzte Inselmodule, liegen seit Ende September gut verankert auf Holzkonstruktionen im Wasser des Spandauer Maselakekanals. Auch hier schneiden hohe Stahlwände das Ufer vom Wasser ab, auch hier ist das Leben in und am Wasser stark verarmt. Das soll sich mit den „Wetland Structures“ ändern, die in einer spektakulären Aktion mit einem auf einem Schiff installierten Kran in stundenlanger Präzisionsarbeit in den Kanal eingelassen wurden. „Mit wenigen solcher Inseln alle 400 Meter könnte ein Biotopverbund durch Berlin hindurch entstehen“, sagt Ralf Steeg.
Unter den Augen interessierter Berliner*innen, Journalist*innen, Vertreter*innen des Bezirksamtes Spandau und des Staatssekretärs für Klimaschutz und Umwelt Andreas Kraus wurden die je vier Tonnen schweren Inseln an einem sonnigen Herbsttag zu Wasser gelassen. Die Stiftung Naturschutz Berlin fördert dieses vielversprechende Projekt aus Stiftungsmitteln.
Lebensräume zurückgewinnen
Warum das alles? Amphibien, Insekten, Fische und Säugetiere bekommen durch die künstlich angelegten Flachwasserzonen über, im und unter Wasser ein Stück natürlichen Lebensraum zurück. Außerdem arbeiten die Inseln wie kleine Kläranlagen für Wasser und Luft und tragen zu einem besseren Stadtklima bei. Pro Modul können circa 1,5 Tonnen CO2 gespeichert werden. Sollten die Inseln in Spandau erwartungsgemäß Erfolg bringen, könnte das der Anfang für weitreichende Veränderungen auch in anderen Gewässern Berlins sein. Deutschlandweit sind die „Wetland Structures“ die ersten Konstruktionen ihrer Art und eine vielversprechende Innovation.
Baukastensystem für ein ökologisches Highlight
Die „Wetland Structures“ sind ein Baukastensystem aus mehreren, ökologisch wirksamen Schichten, die unterschiedliche Funktionen haben: Auf Höhe der Wasseroberfläche befinden sich hochgewachsene Schwarz-Erlen und Wasserpflanzen, die in zwei Tonnen sandigem Boden stehen. Sumpf-Segge, Gemeines Schilfrohr, Blutweiderich, Flatterbinse und Breitblättriger Froschlöffel sind nur einige der ausgewählten Gewächse, die auf den Inseln wachsen. Darunter liegt ein Modul mit sogenanntem Habitatholz – abgestorbenes Holz von Bäumen, das für Gewässer ebenso wichtig ist wie lebende Pflanzen. Hier finden unterschiedliche Organismen Platz zum Leben.
Die angepflanzten Gewächse breiten sich mit ihren Wurzeln schnell nach unten hin aus und werden die Module durchwachsen und dann in einer weiteren, auf dem Grund des Kanals stehenden Substratbox Wurzeln bilden. Fischen dient dieses Gewirr aus Wurzeln und Holz als Versteck vor Fressfeinden, Nahrungsquelle und Laichgrund. Getragen werden die Bauteile von einer Konstruktion aus übereinandergeschichteten Balken, mit denen das System an jede Gewässertiefe angepasst werden kann. „Innerstädtische Feuchtgebiete können so einfach, schnell und kostengünstig umgesetzt werden“, sagt Steeg.
Schon im Mai hatte der Diplomingenieur, der mit spürbar viel Herzblut bei der Sache ist, die Module bepflanzt und monatelang mit großem Engagement das Pflanzenwachstum darauf vorangebracht. Die Pflanzen konnten sich im beigegebenen Substrat aus Sand, Kies und Humus gut verwurzeln und halten jetzt auch starker Strömung stand.
Ökologische Aufwertungen als Mission
Die WITE GmbH arbeitet schon länger daran, urbane Uferbereiche ökologisch aufzuwerten. Ihr erstes Projekt „Vertical Wetlands 1“ realisierte die Firma 2021 mit Unterstützung der Stiftung Naturschutz Berlin an der Kieler Brücke in Moabit. Dort montierte sie mehrere bepflanzte Module direkt an die bestehenden Uferwände. Schon kurz nach dem Bau besiedelten Käfer, Wasserschnecken, Libellen und Wespen das System, auch Säugetiere und Wasservögel nutzten es als Rückzugsort, Nahrungsquelle, Nistplatz und Ruheort. Auch die Wasserqualität verbesserte sich und die Temperatur der Stahlspundwand, die hinter den Systemen liegt, sank nachweislich. In Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) entwickelte die WITE GmbH 2022 und 2023 eine weitaus größere Anlage unter dem Namen „Vertical Wetlands II“, unterstützt durch Mittel des Berliner Programms für Nachhaltige Entwicklung (BENE).
2024 hatten Steeg und die WITE GmbH im Rahmen des Wettbewerbs Lausanne Jardin die fünf kleinen Inseln „Les Iles Forel“ in den Genfer See eingesetzt. In sehr kurzer Zeit siedelte sich auch hier neues Leben an. Das für Berlin weiterentwickelte System steht jetzt in Form der zwei Forschungsinseln im Maselakekanal. Damit ist die Hauptstadt Vorreiter auf dem Gebiet der Entwicklung neuer Technologien für die Wiederherstellung von Flachwasserzonen im Gewässerschutz.
Die ersten Anzeichen für nahenden Erfolg in Spandau ließen Ende September nicht lange auf sich warten: Nur einen Tag nach dem Einsetzen der Module wurde schon der erste Jungfischschwarm in der Holzkonstruktion gesichtet. „Es ist magisch“, sagt Ralf Steeg.
Text & Bilder: C. Koormann