Pflanze des Monats August 2017
Wasserschierling Cicuta virosa
Wäre eine preußische Verordnung von 1818 gründlich umgesetzt worden, so gäbe es den Wasserschierling heute in Berlin und Brandenburg nicht mehr. In diesem Jahr wurde durch die Königliche Regierung zu Potsdam die Ausrottung der Pflanze angeordnet. Grund hierfür waren wiederholt tödliche Vergiftungen von Menschen, welche die durch Vieh losgetretenen und im Wasser treibenden Wurzeln der Pflanze mit Gemüse wie Kerbel, Pastinaken, Sellerie- und Petersilienwurzeln verwechselten und verspeisten. In den Wurzeln des Wasserschierlings ist der Anteil des in der gesamten Pflanze enthaltenen hochwirksamen Giftes Cicutoxin am höchsten. Menschen, Pferde, Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine – alle Säugetiere, die von dieser Pflanze kosten, erleiden bei kleinen Dosen Benommenheit, Schwindel und Krampfanfälle, höhere Dosen führen zum Tod. Das Gift bleibt auch im Heu wirksam, 500 g getrocknete Blätter und ein nur walnußgroßes Stück der Wurzel sind beispielsweise für Pferde tödlich. Der Wasserschierling ist damit eine der giftigsten Pflanzen Mitteleuropas, was sich in sehr plastischen Volksnamen wie „Wüterich“ oder „Kuhtod“ wiederspiegelt.
Der Wasserschierling ist jedoch auch eine alte Heilpflanze, die äußerlich als Salbe oder Wickel aufgebracht zur Schmerzstillung und zur Linderung von Rheuma, Gicht und Krämpfen verwandt wurde. Noch heute wird die Art in der Homöopathie zur Behandlung von Schwindel, Kopfschmerzen, Hautausschlägen und Krämpfen eingesetzt. Daneben stellen die von Juli bis September erscheinenden weißen Doldenblüten des Wasserschierlings für Bienen und Fliegen eine reichhaltige Nahrungsquelle dar. Es gibt sogar Tiere, die sich unbeschadet ausschließlich von seinen Blättern ernähren können. Hierzu zählt die Raupe des Schwalbenschwanzes (Papilio machaon), einer der größten und elegantesten Schmetterlinge unserer Heimat.
Sonnige Ufer stehender, mäßig nährstoffreicher Gewässer sowie halbschattige Erlenbrüche sind die bevorzugten Wuchsplätze des Wasserschierlings. Die majestätische, bis zu 1,20 m hohe Pflanze ist perfekt an ein Leben in der Uferzone angepasst. So ist die kräftige Wurzel durch Luftkammern gegliedert, wodurch Sauerstoff in die Wurzelspitzen geleitet wird. Die Pflanze kann somit auch zeitweilig im Wasser stehend bzw. überflutet überleben. Ausgegrabene Wurzeln schwimmen dank der Luftkammern an der Wasseroberfläche und können mit der Strömung neue Wuchsorte erreichen. Die Verbreitung der Samen erfolgt durch das Wasser, den Wind oder vorbeistreifende Säugetiere oder Vögel.
Der Wasserschierling ist heute in ganz Mitteleuropa selten und gilt in Deutschland und Berlin als gefährdet. Die Art konnte seit 2010 nur noch vereinzelt in den Bezirken Spandau, Reinickendorf, Charlottenburg-Wilmersdorf und Treptow-Köpenick nachgewiesen werden. Weniger eine gezielte Ausrottung als vielmehr Uferverbauung, Melioration, die zunehmende Beschattung von Ufern durch Gehölzaufwuchs sowie Wellenschlag durch Bootsverkehr sind in Berlin die Hauptgründe seines Verschwindens. Durch eine verbesserte Wasserqualität, Uferrenaturierungen und Auslichtungen an Gewässerufern könnte man den Wasserschierling und eine Vielzahl weiterer gefährdeter Sumpf- und Wasserpflanzen in Berlin fördern. Beherzigt man den Grundsatz, nur gut bekannte Wildkräuter in der Küche zu verwenden, ist die Gefahr einer Vergiftung mit dem Wasserschierling heute sehr gering. Auf den ersten Blick ähnliche, ebenfalls aus der Familie der Doldengewächse (Apiaceae) stammende Gemüsepflanzen wachsen nicht an Gewässerufern und haben insbesondere keine gekammerten Wurzeln. Weidetiere lernen zudem, den Wasserschierling zu meiden, so dass in großflächigen, dauerhaften Beweidungsprojekten bisher keine tödlichen Vergiftungsfälle beobachtet wurden. Aus neu angelegten Weidekoppeln sollte die Art jedoch zur Sicherheit ausgezäunt werden. Unter diesen Bedingungen steht einer friedlichen Koexistenz von Wasserschierling und Mensch nichts im Wege.
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