Wildtiere in Berlin - Unsere tierischen Nachbarn

Gehören Sie auch zu den Menschen, die bei dem Wort „Wildtiere“ noch an Elefant, Nashorn, Büffel, Löwe und Leopard denken? Dann haben Sie sich vielleicht noch nicht richtig in Ihrer Nachbarschaft umgeschaut. Denn auch Berlin hat seine „Big Five“: Wildschwein, Fuchs, Steinmarder, Kaninchen und Waschbär. Wenn auch viele unserer Wildtiere bedroht sind, so kommen doch immer wieder neue hinzu: In den letzten Jahren beispielsweise der Fischotter oder die Mopsfledermaus. Insgesamt 59 wilde Säugetierarten leben in der deutschen Hauptstadt, von der Fransenfledermaus über das Wildkaninchen bis hin zum Igel. Die gute Nachricht:  Der Anteil gefährdeter Arten ist bei den Säugetieren auf 44 Prozent gesunken, 1991 waren es noch 55 Prozent – was allerdings zum Teil auch an den Kategorien der Roten Liste liegt.

Hauptstadt der Wildtiere

In keiner anderen deutschen Großstadt leben so viele Wildtiere wie in Berlin. Wer das nicht glaubt, muss nur einmal genauer die Berliner Bäume, Sträucher, Büsche oder Häuser inspizieren. Allein 133 Vogelarten brüten hier: Habichte, Dohlen, Waldohreulen, Rotkehlchen – und natürlich der allgegenwärtige Haussperling. Das Naturbarometer Berlin ging 2015 von 125.000 Berliner Haussperlingen, rund 30.000 Mauerseglern und 100 Habichtpaaren aus. Und mit etwas Glück können Sie sogar Seeadler über der Stadt kreisen sehen. Wer allerdings nach dem Rebhuhn oder dem Raubwürger Ausschau hält, der tut dies vergebens: Beide Vogelarten gelten in Berlin als ausgestorben; auch Flussregenpfeifer, Haubenlerche, Dohle, Saatkrähe, Uferschwalbe und Wiesenschafstelze sind bereits vom Aussterben bedroht.

Sieht man eines der schätzungsweise 2.000 - 5.000 Berliner Wildschweine aus der Entfernung, dann ist das natürlich ein besonderer Moment. Etwas weniger spektakulär ist da die Begegnung mit einer Schnecke. Doch auch auf seine 158 Schnecken- und Muschelarten kann die Hauptstadt stolz sein. Ebenso wie auf die sieben Reptilienarten, von denen allerdings zwei ausgesetzt wurden und die es alleine wohl nicht nach Berlin geschafft hätten. Während sich die Bestände der Ringelnatter positiv entwickeln, nimmt der Bestand aller heimischen Echsenarten wie Zaun- und Waldeidechsen sowie Blindschleichen ab.

Und wie sieht es bei den Berliner Amphibien aus? Zehn der 14 Amphibienarten, die in Berlin vorkommen, stehen auf der Roten Liste, unter ihnen die Rotbauchunke und die Kreuzkröte. Beide sind vom Aussterben bedroht. Der Laubfrosch ist bereits ausgestorben, einzelne ausgesetzte Tiere tauchen aber immer mal wieder in Berlin auf. Obwohl lokale Schutzmaßnahmen durchaus Erfolge zeigen, sind die Amphibien in Berlin in hohem Maße bedroht. Bei den Berliner Fischen gelten die Neunaugen und vier weitere Arten bereits als ausgestorben. Von den verbleibenden 38 Arten werden 29 als heimisch und neun als Neozoen eingestuft – darunter auch der Goldfisch und der als invasiv gelistete Sonnenbarsch. Besser geht es Steinbeißer und Rapfen, Moderlieschen und Wels. Die zurückgekehrte Schmerle ist nach wie vor extrem selten.

Einen Überblick über die Berliner Insektenwelt zu bekommen, erweist sich als schwieriger. Insekten werden auf 20 verschiedenen Roten Listen geführt, von den Libellen über die Eintagsfliegen bis zu den Rüsselkäfern. Zählt man die aufgeführten Arten zusammen, kommt man auf insgesamt 5.361 Insektenarten – und einige davon gibt es deutschlandweit nur in Berlin! So trägt die Stadt für zwei Zikadenarten – für die Schmuckseggenzirpe und die Braune Kragenzirpe – eine besondere Verantwortung, da beide nur hier vorkommen. Das Naturbarometer ordnet 10 Prozent der Berliner Insekten als ausgestorben oder verschollen ein, 27 Prozent als gefährdet. Die Grundwasserabsenkung und der Verlust des Lebensraums führen dazu, dass auch von den 544 bewerteten Berliner Spinnenarten 35,7 Prozent gefährdet sind.  

Komfortabel leben in der Stadt

Doch warum zieht es all diese Tiere in die große Stadt? Sicher, Berlin hat viele Attraktionen, aber trifft das auch aus Sicht der Wildtiere zu? Ja, das tut es. Wichtig für Wildtiere sind zum Beispiel die vielen Strukturen, die eine Großstadt zu bieten hat: Hier gibt es eine Vielfalt an Bauwerken, außerdem zahlreiche Gärten, Parkanlagen, Brachflächen mit mageren Böden, Friedhöfe, Wälder und Teiche. Mit seiner intensiven Landwirtschaft hat das Land dies in einigen Regionen nicht mehr zu bieten.  Auch haben die Tiere in der Stadt ganzjährig einen reich gedeckten Tisch: Ein Fuchs findet hier beispielsweise Kleintiere wie Mäuse, Ratten und Wildkaninchen, aber auch essbare Abfälle. Und Wildschweine wissen, dass sich in Mülltonnen, Gärten und Komposthaufen ein komplettes Abendessen versteckt. Auch die angenehmen Temperaturen sprechen für die Stadt als Wohnort: Hier ist es immer ein wenig wärmer als im Umland, und die milden Winter lassen sich gut überstehen.

Sind Großstadttiere eigentlich cooler als ihre Verwandten auf dem Land? Ja, das sind sie. Ein Mensch kann zum Beispiel viel näher an sie herankommen, ohne dass sie fliehen. Diese Verringerung der Fluchtdistanz liegt natürlich daran, dass sich die Tiere an den Menschen gewöhnt haben. Trotzdem ist es meistens keine gute Idee, einem Wildtier zu nah zu kommen. Und auch der Tagesrhythmus der Stadttiere ist urban:  So werden manche Rotkehlchen in der Stadt nachtaktiv, um weniger Kontakt zu Menschen zu haben. Stare verändern ihren Gesang und zwitschern Handymelodien. 

Ärger mit den Nachbarn?

Wie in jeder guten Nachbarschaft gibt es auch beim Zusammenleben mit den Berliner Wildtieren ab und zu Probleme. Gärtner*innen können ein Lied davon singen: Wenn ein Dachs durch den Kleingarten gezogen ist und dabei alles aufgewühlt hat, erkennt man ihn nicht wieder. Und auch über Maulwurfhaufen können sich manche Berliner*innen ärgern. So genannte Automarder verursachen Schäden am Fahrzeug, Buntspechte hacken die Wärmedämmung auf und Biber machen sich über ufernahe Bäume her. Dass ein Waschbär auf dem Dachboden nicht nur Krach macht, sondern auch die Dämmung zerfetzen kann, wissen viele Berliner Hausbesitzer*innen. Und auch mit Zoonosen, also mit Krankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden, ist nicht zu spaßen: Der Fuchsbandwurm, den man sich beim Bärlauchpflücken im Plänterwald holen kann, ist nur ein Beispiel dafür. Deshalb sollten Sie alles, was Sie in Bodennähe ernten, gut waschen und wenn möglich vor dem Verzehr erhitzen.

Diese Tricks helfen

Der Ärger über Schäden, den Wildtiere hervorrufen, ist verständlich. Und trotzdem möchten wir die Artenvielfalt in Berlin nicht missen. Mit einigen Tricks lässt sich das Zusammenleben erheblich angenehmer gestalten. So können Sie Ihre Mülltonnen mit starken Gummibändern sichern und in einigem Abstand zum nächsten Zaun aufstellen, um Waschbären fernzuhalten. Auch sollten Sie Bäume und Sträucher, die über das Dach reichen, großzügig zurückschneiden. Gegen Wildkaninchen im Garten hilft es schon, diesen einfach möglichst oft zu nutzen. Besonders lieb gewonnene Bäume schützen Sie mit einer Maschendraht-Manschette. Was tun, wenn kleinere Nachbarn ihre Nester direkt am Haus oder auf dem Balkon bauen? Bei Wespennestern lohnt es sich, einfach zu warten: Wenn die Jungköniginnen das Nest verlassen haben, stirbt im Herbst das ganze Volk ab. Die alten Nester werden im nächsten Jahr nicht mehr bezogen. Es gibt unendlich viele Maßnahmen, die eine friedliche Ko-Existenz von Mensch und Tier in der Stadt ermöglichen. Bei Fragen rund um jagdbare Tierarten wie Fuchs, Marder, Waschbär, Wildschwein und Kaninchen können Sie sich beispielsweise an die Wildtier-Beratung des NABU wenden. Zudem stehen Ihnen die Stadtnatur-Ranger*innen als Ansprechpartner*innen zur Verfügung. 

Die oberste Regel im Umgang mit Wildtieren lautet: Bitte nicht füttern! Das ist eine Ordnungswidrigkeit, die Sie bis zu 5.000 Euro kosten kann. Brot ist für Wasservögel keine Delikatesse, es quillt im Magen auf und ist außerdem viel zu salzig. Und wenn Sie einen Fuchs füttern, dann sorgen Sie dafür, dass er seine Scheu vor Menschen verliert. Auch wichtig: Bitte bedrängen Sie Wildtiere nicht! Bei dem Versuch, das Tier zu streicheln oder gar zu fangen fühlt es sich vielleicht in die Ecke gedrängt – und kann zubeißen. Unterwegs mit dem Hund sollten Sie Ihren Vierbeiner stets an der Leine führen um Stress und Leid bei Wildtieren zu vermeiden. Wenn Sie sich an diese Regeln halten, sorgen Sie dafür, dass nicht nur wir, sondern auch unsere wilden Nachbarn sich in Berlin richtig zu Hause fühlen können.

Interessante Begegnungen mit Wildtieren in Berlin können Sie übrigens ebenfalls den Stadtnatur-Ranger*innen melden oder diese im Meldeportal ArtenFinder Berlin angeben. Sie helfen so aktiv mit, die Tiere der Stadt zu schützen und für die nächsten Generationen zu erhalten.

- Norbert Kenntner & Natascha Wank