Schlammschlacht garantiert
Die große Freiheit in der Natur zu spielen und warum das so wichtig ist
Eins, zwei, drei… platsch! Mit Anlauf und quiekendem Lachen landet der kleine Jonah auf seinem Hintern. Mitten im Matsch. Dicke Tropfen spritzen in alle Richtungen und in die strahlenden Gesichter der umstehenden Kinder. Keine Kleidung bleibt hier sauber, keine Haarsträhne ist ohne Schlamm. Und das ganz „legal“ und unter den wohlwollenden Blicken der umstehenden Erwachsenen. Die „Wilde Welt“ an der Moorwiese ist ein Ort, an dem Abenteuer entstehen. Am nördlichen Stadtrand Berlins, im Ortsteil Buch liegt einer von sechs Naturerfahrungsräumen (NER) der Hauptstadt.
Das Konzept des NER ist dabei so einfach wie genial: Freies Spielen in der Natur, kostenlos und offen für alle. Unbeobachtet durchs Gebüsch toben, in feuchter Erde matschen, Staudämme bauen, auf Baumstämmen balancieren – hier ist vieles möglich, was die kindliche Fantasie hergibt.
In einer Metropole wie Berlin ist das leider keine Selbstverständlichkeit. Vor allem in Großstädten steht Kindern immer weniger Freiraum zur Verfügung. Freiflächen und wilde Brachen sind aus dem Stadtbild fast verschwunden und Spielaktivitäten haben sich von draußen nach drinnen verlagert. Dem versucht das Land mit seinen Naturerfahrungsräumen entgegenzuwirken, unterstützt von der NER-Beratungsstelle der Stiftung Naturschutz Berlin, „denn die Spiel- und Entdeckungsmöglichkeiten sind in der Natur schier endlos und für die Entwicklung der Kinder elementar“, weiß die Erlebnispädagogin Julia Obert. „Vor allem das soziale Lernen wird hier gefördert. Kinder spielen in der Natur nachweislich komplexer und kooperativer“, so Obert. Sie ist „Kümmerin“ in der „Wilden Welt“ und wacht mit ihrem Team über das Wäldchen zwischen S-Bahnhof Buch und dem angrenzenden Gewässer Moorlinse.
Als Ansprechpartnerin für Eltern und Erzieher*innen, die mit ihren Kindern die Moorwiese besuchen, prüft sie regelmäßig das Gelände auf seine Sicherheit und organisiert Veranstaltungen. Zu den Highlights zählt das jährliche Matsch-Mooor-Fest am Langen Tag der StadtNatur. Ausgerüstet mit Gartenschlauch und Gießkanne werden dann die Senken und Kuhlen auf dem Gelände mit Wasser befüllt und das grenzenlose Matschen nimmt seinen Lauf. Die Mädchen und Jungs bauen Skulpturen aus Lehm, versammeln sich zu Schlammschlachten oder rutschen die Lehmhügel hinunter. Das Leuchten in den Augen der Kinder ist für Julia Obert dabei jedes Mal Bestätigung für ihre Arbeit. „Die Kinder dabei zu beobachten, wie sie im freien Spiel selbstbestimmt in ihrem eigenen Tempo Ideen entwickeln, ausprobieren, sich begeistern und diese Begeisterung mitteilen wollen – das ist beflügelnd.“
Spannend ist auch der Prozess, den Kinder durchlaufen, die nicht so häufig Kontakt mit der Natur haben. Sie müssen das Areal erst einmal für sich entdecken. Wenn die Rutsche oder das Klettergerüst wie auf herkömmlichen Spielplätzen fehlt, muss der Raum eben anders erobert werden. Oft beobachtet Obert dabei, dass Kinder dann ganz andere Rollen einnehmen. „Die Schüchternen blühen hier auf und geben den Ton an. Die sonst Mutigen sind auf einmal zurückhaltend oder sogar ängstlich.“ Der Naturerfahrungsraum bietet Kindern die Chance, ganz intensiv in Kontakt zu kommen –mit sich und mit der Natur.
Als der kleine Jonah am Ende des Tages erzählt, was er erlebt hat, klingt das so: „Erst haben wir eine Hütte unter den hohen Bäumen gebaut, dann wurden wir angegriffen und mussten uns verteidigen und dann haben wir in der Schlammwelt eine Suppe aus Matsch gekocht, dann haben wir einen Schatz gefunden und mit den Steinen was gekauft.“
Jonahs Geschichte ist eine Kindheitserinnerung, die ihm wahrscheinlich bleiben wird. Und auch das ist ein Ziel beim naturnahen Spielen: Positive Erfahrungen in der Natur sammeln. Denn Julia Obert weiß: Das, was man kennt und liebt, schützt man.
Autorin: S. Bengelsdorf