Nofretete ist ja auch nur ein Stein

Wie Rainer Altenkamp für Berlins Artenvielfalt kämpft

Der Lange Tag der StadtNatur steht in diesem Jahr unter dem Motto „Vielfalt erleben“. Für den Erhalt genau dieser Vielfalt setzt sich der NABU Berlin seit Jahrzehnten ein. Rainer Altenkamp ist 1. Vorsitzender des Berliner Umweltverbandes. Für unser Portrait traf sich Svenja Pelzel mit ihm im Pankower Bürgerpark.

Ohne die umwerfende Vielfalt vor seiner Haustüre, wäre Rainer Altenkamp heute vielleicht immer noch Physiklaborant und nicht einer der wichtigsten Naturschützer Berlins. Im sehr kalten Winter 1990/1991 beobachtet er zufällig auf der Spree besonders viele Wasservögel und entdeckt seine Neugier für die gefiederten Bewohner dieser Stadt. Auf der Suche nach Gleichgesinnten kommt er das erste Mal mit dem NABU Berlin in Berührung, damals noch ziemlich ein kleiner Verein mit wenigen 1000 Mitgliedern. Als Altenkamp irgendwann im Reinickendorfer Park ein Habichtspaar beim Brüten beobachtet, führt seine Neugier auf die Vielfalt dieser Stadt zu einer Lebensentscheidung: mit 29 Jahren kündigt er den Job als Laborant, studiert Biologie und schreibt seine Diplomarbeit über Habichte in Berlin.

Im Osten gibt es damals bereits eine AG Greifvogelschutz des NABU, die sich regelmäßig in einem Keller in Friedrichshain trifft. „Die waren alle jung und richtige Macher. Wenn man gesagt hat, wir brauchen da und da einen Nistkasten, hing der eine Woche später“. Altenkamp schließt sich dem engagierten Team an, übernimmt wenig später die Leitung und 2014 auch den Vorsitz des NABU Berlin. „Ich war der einzige, der nicht sofort ‚nein‘ gesagt hat, als der alte Vorsitzende aufhörte,“ erinnert sich Rainer Altenkamp und lacht schallend. Überhaupt lacht der 60jährige gebürtige Rheinländer gerne und viel.

Neben diesem Humor zeichnet Altenkamp ein gewisser Pragmatismus aus. Er sagt Sätze wie: „Natürlich ist das unbefriedigend, was bei der Kreuzkröte passiert. Aber würden wir uns nicht engagieren, wäre sie längst nicht mehr da.“ Oder: „Eine gewisse Frustrationstoleranz musst Du mitbringen, sonst hast Du verloren“ Oder: „Du kriegst im Naturschutz selten das Maximum von dem, was nötig und sinnvoll wäre, aber Du kriegst eine ganze Menge.“ Tolle Sätze, die einen verstehen lassen, warum jemand wie Altenkamp seit Jahrzehnten aktiv im Berliner Naturschutz mitmischt - beim NABU Berlin, als Mitglied des Jagdbeirates, des Tierschutzbeirates und als stellvertretender Stiftungsratsvorsitzender der Stiftung Naturschutz Berlin.

Und dann noch so ein Satz: „Wenn 10.000 Leute auf ihrem Balkon einen Quadratmeter natürlich belassen, dann ist das ein ökologischer Faktor – genauso, wenn 10.000 Leute ein Insektenhotel auf ihrem Balkon packen – dann sind die Arten, die solche Strukturen nutzen, hier nicht mehr selten“. Das ist das sprichwörtliche Kleinvieh und sein Mist und die gute Nachricht, dass auch in einer Metropole wie Berlin Menschen gemeinsam viel für den Natur- und Artenschutz erreichen können. Anders als in größeren Bundesländern hat der NABU Berlin nur wenige eigene Flächen, um darauf umfassende Naturschutzmaßnahmen umzusetzen. Die Arbeit für die biologische Vielfalt in dieser Stadt erfolgt stattdessen vor allem durch hunderte Ehrenamtliche in zahlreichen Fachgruppen, z.B. für Greifvögel, Insekten, Fledermäuse, Baumschutz oder naturnahes Gärtnern.

Der Erfolg ihrer Arbeit ist in konkreten Zahlen messbar. Waren beispielsweise in den 1970er Jahren Fledermäuse fast ausgerottet, ist Berlin heute Fledermaushauptstadt. Für Turmfalken gibt es Dank der AG Greifvogelschutz des NABU mehrere hundert Nistplätze auf Kirchtürmen und anderen hohen Gebäuden. Der Habicht hat in Berlin die größte urbane Population Europas. Fischadler, Wiedehopf, Fischotter und Biber sind zurückgekommen, die Kreuzkröte noch nicht ausgerottet, um nur eine paar Beispiele zu nennen.

Ein weiterer Hotspot der Artenvielfalt ist der Berliner Flughafensee, um den sich eine NABU-AG seit vier Jahrzehnten kümmert. Würde es die Gruppe nicht geben, wäre das Vogelschutzreservat ebenfalls verschwunden, erklärt Altenkamp und ergänzt: „Vielleicht werden wir es noch erleben, dass der Flughafensee zum Naturschutzgebiet ausgewiesen wird, was ja erst seit 40 Jahren angedacht ist.“

Natürlich kennt Rainer Altenkamp auch die Aussagen von Naturschutz-Kritikern, die es vollkommen übertrieben finden, wenn bei Bauvorhaben beispielsweise einzelne Tiere geschützt werden und nicht jeder bauen kann, wie er möchte. Was er diesen Menschen antwortet? „Hängt davon ab, welche Laune ich gerade habe“ sagt er begleitet von schallendem Lachen und ergänzt die Anekdote: „So einen Dialog hatte ich neulich wieder und da habe ich gesagt, warum setzen Sie sich eigentlich für die Nofretete ein, ist doch auch nur ein Stein?“

Wir haben als Menschen die ethische Entscheidung getroffen, die Nofretete, den Kölner Dom, das Schloss Charlottenburg und Sanssouci zu erhalten, so Altenkamp. Zum reinen Überleben brauchten wir sie nicht, ebenso wenig wie Kröten, Mammutbäume und Greifvögel – zugespitzt formuliert. Dennoch erhalten wir die Denkmäler, weil wir ihnen eine hohe Wertschätzung entgegenbringen. „So eine Wertschätzung und die dazugehörige ethische Entscheidung erwarte ich auch von allen, die sich mit Naturschutz beschäftigen oder die Natur für ihre Zwecke nutzen wollen.“

Eine große Wertschätzung für ihre Stadtnatur nimmt Rainer Altenkamp bei den Berlinerinnen und Berlinern wahr. Die Einstellung der Leute in der Großstadt ist seiner Beobachtung nach eine völlig andere als im ländlichen Bereich. Zum Beispiel sein Lieblingstier - den Habicht - hielten viele auf dem Land nach wie vor für eine Pest. „Wenn in Berlin bei einem Habichtnest irgendetwas Komisches passiert, rufen die Leute dagegen sofort die Polizei“. Immer wieder erzählen ihm ältere Menschen, wie viele Schmetterlinge es früher gab und wie sie diese vermissen. Oder Bürger*innen rufen beim NABU an und fragen, ob man die Biber im Plötzensee nicht retten könne, denn da würden so viele Menschen baden.

Aktionen und Naturfestivals wie der Lange Tag der StadtNatur, die Stunde der Gartenvögel und die Stunde der Wintervögel sind für Rainer Altenkamp extrem wichtig. „An solchen Tagen machen wir die Menschen darauf aufmerksam, was es in ihrer unmittelbaren Umgebung überhaupt gibt.“ Alle versuchten mit solchen attraktiven Angeboten Leute zu mobilisieren, die sich sonst vielleicht nicht so für die Natur interessieren. „Was da langfristig draus wird, weiß ich nicht, aber negativ ist das ganz sicher nicht.“

Der NABU ist am Langen Tag der StadtNatur mit vielen Veranstaltungen vertreten.

Sie möchten die Arbeit des NABU unterstützen? Spenden und Mitmachen können Sie unter: https://berlin.nabu.de/spenden-und-mitmachen/index.html

Autorin: S. Pelzel