Natur in der kalten Jahreszeit
Winterpilze bringen Farbe ins Grau

Pilzsaison ist im Herbst. Wenn es draußen frostig wird, ist Schluss mit dem Durchstreifen der Wälder nach Steinpilz, Marone und Parasol. Wirklich? Ganz und gar nicht. Eine Pilzwanderung ist im Winter sogar richtig spannend und einige sind sogar hervorragende Speisepilze!
Aber beginnen wir erstmal mit der Frage, was Pilze überhaupt sind. Pflanzen? Oder sogar Tiere? Weder noch. Denn sie besitzen nichts Grünes für die Photosynthese wie Pflanzen, sondern beziehen ihre Nahrung aus toten oder lebenden Organismen. Somit sind sie den Tieren – und also auch uns – sogar ähnlicher als den Pflanzen. Sie haben aber einen anderen Zellaufbau als Tiere und vermehren sich auch anders. Deshalb bilden sie eine Gruppe für sich, ein eigenständiges Reich, die Fungi.
Wenn wir von Pilzen sprechen, meinen wir meist den Fruchtkörper. Das eigentliche Lebewesen – das Myzel – ist aber unterirdisch, oft unsichtbar. Ein besonders großes Lebewesen dieser Art, wahrscheinlich das größte weltweit, ist ein Hallimasch in Oregon. Sein Netzwerk erstreckt sich über eine Fläche von neun Quadratkilometern. Forscher schätzen, dass der Riesenpilz bis zu 8.500 Jahre alt und 400.000 Kilogramm schwer sein könnte. Aber auch in Berliner Wälder wachsen ein paar Schmuckstücke, die man mit wachsamen Augen entdecken kann.
Mit einem Spektakel an Farben und Mustern schmücken Schichtpilze den winterlichen Wald. Zum Beispiel der Braunsamtige (Stereum insignitum) oder der Striegelige Schichtpilz (Stereum hirsutum). Sie wachsen direkt auf Holz und haben keinen klassischen Hut und Stiel, sondern krustenartige flache oder gewölbte Schichten.

Ebenfalls sehr augenfällig in knallgelb ist der Goldgelbe Zitterling (Tremella mesenterica). Besonders ist auch seine Form, gewunden und gelappt, etwas glitschig und gallertartig sitzt er auf Ästen.

Auch der Zunderschwamm (Fomes fomentarius) sitzt direkt am Holz, meist an geschwächten oder verletzten Laubbäumen. Der harte korkartige Fruchtkörper sitzt fest am Stamm, will man ihn ernten, braucht man ein Messer oder gar eine kleine Axt. Aber wozu sollte man ihn ernten? Der Name verrät es schon: Man kann mit ihm Feuer machen. Auch Ötzi, der berühmte Gletschermann, trug Zunderschwamm bei sich, um Feuer zu entfachen. Der Pilz wurde übrigens traditionell in der Volksmedizin verwendet zur Wundheilung und Blutstillung.
Sehr unscheinbar sind dagegen die Kleinen. Der Glimmertintling (Coprinellus micaceus) und der Gemeine Trompetenschnitzling (Tubaria furfuracea) gehören wie Champignon und Fliegenpilz zur Ordnung der Agaricales. Und sie haben Hut und Stiel. Sind aber so klein, dass man schon genau auf den Waldboden achten muss, um sie nicht zu zertreten. Hat man sie aber mal entdeckt, lohnt sich eine genauere Betrachtung. Wer dafür zu Boden geht, findet sich mit etwas Fantasie in einer kleinen Welt mit Zwergen und magischen Wesen wieder.


Klein, aber sehr auffällig ist dagegen ein Pilz, den man für einen achtlos weggeworfenen Flaschendeckel halten könnte. Den Scharlachroten Kelchbecherling (Sarcoscypha coccinea) findet man nicht sehr häufig, aber durch seine auffällige knallrote Farbe sieht man ihn deutlich zwischen den Laubblättern vorstechen. Man traut fast seinen Augen nicht, so knallig ist seine Farbe. Gerade im feuchten Frühling, wenn der Pilz frisch ist, scheint er fast zu leuchten, was ihm einen magischen, fast übernatürlichen Charakter verleiht.

Aber welche Pilze können denn nun gegessen werden? Wer sich in der asiatischen, vor allem in der chinesischen Küche auskennt, wird ihnen schon begegnet sein: Mu-Err-Pilzen (Auricularia auricula-judae). Ihr wissenschaftlicher Name Auricularia (= Ohr) judae (= Judas, auch Judasohr genannt) verweist auf eine historische Legende, nach der Judas Iskariot sich nach seinem Verrat an Jesus Christus an einem Baum erhängte und dort ein „Ohr“ in Form dieses Pilzes hinterließ. Angeblich soll es ein Holunder gewesen sein. Ein Holunder! Wer bitte soll das denn glauben! Zumindest wächst der Pilz unter anderem gern auf totem Holunderholz.
Ein Speisepilz ist auch der Gemeine Samtfußrübling (Flammulina velutipes). Besonders in China und Japan hat dieser Pilz in der lokalen Küche eine gewisse Bedeutung, dort wird er sogar kultiviert. Seine honiggelben bis braunen Hüte drängen in geselligen Grüppchen aus den Spalten der Rinde von Baumstümpfen und oft noch lebenden Bäumen.

Ein ebenfalls exzellenter Speisepilz findet sich oft an Buchen, aber auch an Pappeln, Weiden oder Birken, der Austernseitling. Es gibt Vertreter mit braunen, gelben, schwarzen und graurosafarbenem Hut. Dort, wo er aus dem Holz wächst, ist deutlich ein weißer Stil zu sehen.

Auch wer keine Pilze mag, hat sicher seine Freude an den Farbtupfern in der winterlichen Landschaft. Und wer sich nicht sicher ist bei der Pilzbestimmung: alle hier genannten essbaren Pilze gibt es auch in ausgewählten Lebensmittelmärkten zu kaufen. Für Laien besteht immer die Gefahr einer Verwechslung mit hochgiftigen Arten, die den genießbaren zum Verwechseln ähnlich sehen. Daher: Vorsicht ist geboten!

Jana Kotte jongliert für gewöhnlich als Referentin für Kommunikation mit Farben, Schriften und Fotos, um die Arbeit der Stiftung Naturschutz Berlin sichtbar zu machen. In ihrer Freizeit pirscht sie als Artenfinderin durch die Natur, um auch noch die letzte Wildbienenart zu entdecken und zu dokumentieren. Gerade im Winter – wenn Bienen und Schmetterlinge ruhen – stehen die Pilze besonders im Fokus und lassen sich fotografisch einfangen.