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Micro Greens aus Iwano-Frankiwsk

Kräftig greift Mischa mit beiden Händen in einen Eimer voller Erde, hebt daraus eine ordentliche Menge und verteilt sie in zwei Tetrapak-Hälften, die Halyna ihm entgegenhält. In den beiden Mini-Beeten wird es schon bald grün hervorsprießen. Hier werden nämlich heute Micro Greens gesät: Gesunde, schmackhafte Sprossen mit vielen Mineralien und Vitaminen, die Salate verfeinern und Speisen verzieren, sollen aus kleinen Samen in der Erde wachsen. „Micro Greens kann man sehr vielfältig einsetzen, sie sind immer frisch, müssen nicht gekühlt werden und kosten gar nicht viel“, erklärt Halyna, während sie die Erde in den Tetrapaks leicht andrückt. „Man kann sie immer zuhause haben.“

Zuhause – das ist für Halyna die Stadt Iwano-Frankiwsk im Norden der Ukraine. Zusammen mit Oksana, Natalyia und Oleksandr ist sie auf Einladung des Vereins Compango für eine Woche in Berlin zu Gast. Hier stellen die Vier ihre Arbeit aus verschiedenen Initiativen der NGO Zero Waste Iwano-Frankiwsk vor und präsentieren in drei Workshops ökologisch nachhaltige Ideen. Und nicht nur das: Die Reise aus dem vom Krieg gezeichneten Land soll grüne Brücken nach Deutschland bauen. „Wir hoffen, dass aus dieser Verbindung etwas Großes erwachsen kann“, sagt Rudi Piwko, Geschäftsführer von Compango. „Dieser Besuch ist ein ökologisches Hoffnungszeichen aus einem Land im Krieg mit direktem Bezug zu Berlin.“

Ökologische Jobs für Geflüchtete

Das Pilotprojekt „Re-Use with Ukrainians“, initiiert von Compango e.V. und gefördert durch den Förderfonds Trenntstadt Berlin zeigt ökologisch interessierten Geflüchteten, welche Möglichkeiten es gibt, in entsprechenden Arbeitsfeldern Fuß zu fassen. Direkt nach dem russischen Überfall auf die Ukraine begann der Verein, Geflüchteten in Berlin in Jobs der Energiewende zu vermitteln. Durch Workshops und Seminare, etwa zu den Themen Photovoltaik oder nachhaltigem Bauen, konnten die Teilnehmer*innen Eindrücke von verschiedenen Tätigkeiten bekommen.  Seminare und Workshops zur Bildung für nachhaltige Entwicklung geben Einblicke in Themenfelder wie Re-Use, Upcycling, Mülltrennung und Reparaturwerkstätten. In einem eigenen Raum im Haus der Materialisierung werden Hospitationen für Geflüchtete in verschiedenen Werkstätten organisiert.

Ira und Michajlo, zwei in Berlin lebende Geflüchtete, stellten den Kontakt mit den Gästen aus Iwano-Frankiwsk her. Halyna ist dort in einer Öko-Station tätig, Oksana arbeitet für ein Jugendkulturhaus und Natalyia und Oleksandr führen das Plastik-Recycling-Startup „Eco Reactive“. „Wir laden in Berlin lebende Geflüchtete herzlich zum Mitmachen ein“, sagt Rudi Piwko. „Es geht bei uns neben dem Austausch zu ökologischen Ideen auch um das Zusammenkommen und eine gute gemeinsame Zeit.“

Micro Greens im Joghurtbecher

Im ersten Workshop der Woche zeigt Halyna den Teilnehmer*innen, wie sie mit leichten Mitteln eigene Micro Greens züchten können. „Bei uns in der Öko-Station lernen schon Kinder, wie man solche Pflanzen anbaut und wie man sie nutzen kann. Wir bringen ihnen lokale, gesunde Produkte näher und versuchen, möglichst viele damit zu erreichen.“ Dafür brauchen sie keine Profi-Ausrüstung, sondern arbeiten mit Recycling: Tetra-Paks, Joghurtbecher, alte Essensverpackungen und Schachteln dienen dabei als Beete. „So bekommen sie ein zweites Leben“, sagt Halyna. Wichtig: Nur Verpackungen, die feuchtigkeitsresistent sind, eignen sich dafür.

Aus welchen zarten Pflänzchen züchtet die Öko-Station in Iwano-Frankiwsk ihre Micro Greens? „Brokkoli, Rucola, Erbsen, Kohl, Radieschen, Rettich“, zählt Halyna auf. „Alle haben unterschiedliche Eigenschaften und Inhaltsstoffe – besonders gut schmecken sie in der Kombination.“ Micro Greens sind etwas „erwachsener“ als Sprossen und nach sieben bis zehn Tagen essbar. „Wir ernten sie nach vier Wochen“, sagt Halyna. Auf angefeuchtetem Untergrund wie Erde, nährstoffarmen Kokosfasern, Leinen-Gewebe oder sogar auf Toilettenpapier lassen sich die Samen sehr gut anzüchten. Die Workshop-Besucher*innen verteilen sie großzügig in ihren mit Erde ausgefüllten Schachteln. „Das sieht aus wie ein Himmel voller Sterne“, findet eine junge Teilnehmerin.

In den ersten Tagen sollten die Mini-Beete im Dunkeln stehen. „Dadurch kriegen die Samen eine Art Stress-Impuls, der ihnen vermittelt, dass sie wachsen sollen“, sagt Halyna. Bis sie keimen, werden sie mit Folie eingewickelt. So hält sich die Feuchtigkeit besser.

„In unserer Öko-Station nutzen wir ein Hektar Land, auf dem selbst angebaut werden kann“, sagt Halyna. Gerade für Kinder sei es besonders toll, selbst gesäte Pflanzen wachsen zu sehen und sie ernten zu können.  „Auch psychologisch ist es sehr wichtig, an einem schönen Ort zu sein, entspannen zu können, Bäume und Pflanzen wachsen zu sehen.“ Blumen aus der Öko-Station dekorieren öffentliche Orte und Straßen. „Wir sind mit absoluter Leidenschaft dabei, bringen Menschen zusammen und haben viel Spaß“, sagt Halyna. Das kann man sich gut vorstellen, denn auch die Stimmung im Workshop ist gelockert, es wird gelacht, hier und da wird ein Witz gemacht. Die Augen des ältesten Teilnehmers strahlen. „Ich komme auf jeden Fall auch zu den anderen beiden Workshops“, sagt er. Dann wird Oksana ihm zeigen, wie man aus Altpapier „neues“ Papier recycelt, und von Natalyia und Oleksandr wird er lernen, was mit kreativer Arbeit neu aus Plastikmüll entstehen kann.

 

Autorin: Christina Koormann