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Die Vielfalt im Blick

Pflanze des Monats März 2024

Scheidiges Wollgras Eriophorum vaginatum L.

Eine so vielseitige und gut erforschte Pflanzenart findet sich selten: Sie ist eine echte Überlebenskünstlerin, die mit nur wenigen Nährstoffen in sauren Hochmooren oder bei eisiger Kälte in der arktischen Tundra gedeiht und dort den regelmäßig auftretenden Tundrafeuern trotzt. Nebenbei bietet sie Nistplätze für Vögel und Kleinsäuger, Nahrung für seltene Insekten und ist eine Ammenpflanze für viele Hochmoorpflanzen, die in ihrem Schutz keimen und wachsen können. Schließlich ist sie eine wichtige Torfbildnerin, die zur CO2-Speicherung in den Mooren beiträgt. So ein Tausendsassa wächst tatsächlich auch in Berlin: Es handelt sich um das Scheidige Wollgras (Eriophorum vaginatum), dessen gelb blühende Ähren jetzt im März bewundert werden können.

Windige Vermehrung

Das Scheidige Wollgras gehört zu den Sauergräsern (Cyperaceae) und wächst in Horsten, die aus mehreren Hundert dicht stehenden Trieben bestehen können und 30 bis 80 cm hoch werden. Die Blätter sind etwa 1 mm breit, können aber bis zu einem Meter lang werden und hängen dann über. Ihre Blattscheiden wirken etwas aufgeblasen, was dem Scheidigen Wollgras zusammen mit den wolligen Fruchtständen zu seinem Namen verholfen hat. In der Blütezeit von März bis April erscheinen die Blütenstände. An ihrer Spitze tragen sie eine eiförmige Ähre, die aus zahlreichen Einzelblüten besteht. Die Blüten sind proterogyn, was bedeutet, dass eine Blüte erst die weiblichen Narben und danach die gelben Staubblätter präsentiert. Auf diese Weise wird verhindert, dass die Blüten sich selbst bestäuben. Die Bestäubung selbst erfolgt durch den Wind. Die Blütenhülle besteht aus zahlreichen weißen Hüllfäden, die sich bis zur Fruchtreife im Mai und Juni stark verlängern und den namensgebenden weißen Wollschopf bilden. Die Frucht ist eine kleine Nuss, die mit der wolligen Hülle verbunden bleibt. Ähnlich wie bei den Flugfrüchten des Löwenzahns kann sie so durch den Wind über weite Distanzen ausgebreitet werden, die Hülle verleiht ihr aber auch eine gewisse Schwimmfähigkeit.

 Robuste Moorpflanze mit Anziehungskraft

Seine Fähigkeit zur Windausbreitung ist eine Anpassung an den Lebensraum des Scheidigen Wollgrases in der Tundra, in Hochmooren und in kleinen, oft voneinander isolierten Kesselmooren, wie sie in Brandenburg vorkommen. Eriophorum vaginatum ist eine typische Pionierpflanze, die sich weit entfernte Lebensräume erschließen und auch nackten Torf besiedeln kann. Auch sonst ist die Art gut an extreme Bedingungen angepasst. Sie bevorzugt die in Mooren herrschenden sauren Bedingungen und das Durchlüftungsgewebe ihrer Wurzeln ermöglicht ein Wachstum im wassergesättigten Boden. Hat sich das Scheidige Wollgras erst einmal etabliert, können sich im Schutz seiner Horste weitere Moorpflanzen wie Torfmoose, Seggen oder die Gewöhnliche Moosbeere ansiedeln. Dadurch ist es eine wichtige Art in Moorrenaturierungsprojekten, bei denen abgetorfte Flächen in wieder intakte Moore mit ihrer typischen Vegetation umgewandelt werden. Aber auch für viele Insekten ist es unverzichtbar: Seine Blätter sind Nahrung für bedrohte Falter wie das Große Wiesenvögelchen (Coenonympha tullia), die Pfeifengras-Stengeleule (Amphipoea lucens) oder auch für die Moorkäferzikade (Ommatidiotus dissimilis).

 Vorliebe für feuchte Böden

Eriophorum vaginatum ist auf der gesamten Nordhalbkugel verbreitet und kommt dort von der gemäßigten bis zur arktischen Klimazone vor. In Mittel- und Nordeuropa ist sein Verbreitungsgebiet nahezu identisch mit dem der Regenmoore im Flachland und reicht in den Gebirgen bis auf etwa 2000 m Höhe. Hier reicht es vom südlichen Frankreich und Irland im Westen bis in den Norden Skandinaviens und zieht sich weiter über Sibirien und das nördliche Nordamerika. Damit umfasst es eine große Bandbreite klimatischer Bedingungen. Im Süden ist es durch die Niederschlagsmenge begrenzt. Die Niederschläge sind nötig, um für einen dauerhaft wassergesättigten Boden und damit für die Entstehung von sauren Arm- oder Zwischenmooren zu sorgen. Seine südlichsten Vorposten in Europa liegen in den Hochgebirgen des Balkans.

 Renaturierungsprojekte helfen dem Scheidigen Wollgras

Trotz seiner weiten Verbreitung steht das Scheidige Wollgras in Deutschland auf der Vorwarnliste für bedrohte Arten. Dies ist weitgehend mit der historischen Vernichtung der Hochmoore und Moorwälder durch Entwässerung und Torfabbau verbunden. Aber auch heute noch ist sein Lebensraum durch starke Nährstoffeinträge und sinkende Grundwasserspiegel bedroht. In Berlin gilt die Art als stark gefährdet und kommt hier nur noch in wenigen Mooren im Grunewald, im Düppeler und Spandauer Forst sowie in Köpenick vor. Hier konnte durch Moorrenaturierungsprojekte der Stiftung Naturschutz Berlin sein Lebensraum wiederhergestellt werden. Nachdem z.B. in der Kleinen Pelzlaake der Gehölzaufwuchs und die dominierenden Pfeifengrasbestände entfernt wurden, hat es sich schnell aus benachbarten Bereichen des Moores wiederangesiedelt und in seinem Gefolge kamen auch Torfmoose und weitere typische Moorpflanzen. Ein großes Problem stellt in Berlin aber die zunehmende Grundwasserentnahme dar, die zusammen mit verringerten Niederschlagsmengen dafür sorgt, dass viele Moore langsam trockenfallen. Wenn es gelingt, den Wasserhaushalt der Moore wieder zu stabilisieren, werden sich die Aussichten für diesen Pionier der Moore und viele weitere seltene Arten entscheidend verbessern.

 

Sollten Sie auf Ihren Spaziergängen das Scheidige Wollgras mit seinen auffallenden Schöpfen finden, freuen wir uns sehr über eine Fundmeldung per E-Mail mit Fotobeleg. Vielen Dank!

 

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