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Nachruf Ben Wagin

Ich traf Ben Wagin zuletzt im Herbst 2018, wo er meine Frau und mich frohgemut durch sein „Parlament der Bäume“ führte. Es stand nun endlich unter Denkmalsschutz und war bewahrt vor dem gierigen Zugriff der Investoren an der Mauerlinie. Ich war erfreut, diesen exzentrischen Künstler so munter inmitten seines Kunstwerks stehen zu sehen, hatte ich ihn doch vor 22 Jahren für den Berliner Naturschutzpreis, den „Wendland-Ring“, vorgeschlagen, ausgerechnet diesen schrägen Vogel, der es immer wieder mit dem Gingkoblatt an der Mütze schaffte, die großen Probleme der Natur und Umwelt in den öffentlichen Raum und in die Politik hineinzuschreien – wie sein kranker Baum an der Hausfront nahe dem S-Bahnhof Tiergarten. Er malte das Flussschiff mit den fünf Bäumen hoch in den Hausgiebel und ließ es schließlich nach dem Fall der Mauer – nach längerer Parkzeit Unter den Linden – auf einem Tieflader in die Lausitz rollen, um die Wunden in der Braunkohle-Landschaft heilen zu helfen.

Duz-freudige Politiker durften ihre Bäume in Vielfalt zum „Parlament der Bäume“ auf Bens Mauerstreifen anpflanzen und sich vom Künstler sagen lassen:

"DAS FUNDAMENT EINES GEMEINSAMEN EUROPÄISCHEN HAUSES MUSS EINE INTAKTE UMWELT SEIN."

Ein Baum hat sein Leben bis zum Ende bestimmt – der Gingko mit seiner symbolischen Kraft als Urweltbaum, der viele Millionen Jahre Umweltstress überstanden hat – auch in unseren Stadtstraßen, wo Gingkos bald reichlich angepflanzt wurden. Seine fehlende synökologische Funktion fiel aber dann doch auf. Der Mangel an Vielfalt möglicher Bewohner und Nutznießer war den eigentlichen Naturschützern ein Dorn im Auge. Vermehrt wurden jetzt einheimische Laubbäume – auch Obstbäume – in Ben Wagins Pflanzaktionen einbezogen. Bewusst geschaffener Wildwuchs am Straßenrand brachte zwar Biodiversität, aber auch noch Widerstände von Baustadträten.

Es war mir ein besonderes Anliegen, einen mit seinen besonderen Mitteln für den Umweltschutz kämpfenden Künstler für den Berliner Naturschutzpreis vorzuschlagen. Der Stiftungsrat ließ sich auch für den Gedanken gewinnen, dass jemand, der ein Flussschiff – beladen mit fünf jungen Bäumen – als „Klimaboot“ hineinstoßen lässt in den Denkzusammenhang zwischen Energieverschwender und Luft, zwischen Mensch und Natur, sich wirklich um den Natur- und Umweltschutz in Berlin verdient gemacht hat.

Viele nannten ihn ein unbegreifliches Phänomen, der mit unverschämter Form des Zugriffs viele fesselte und viele Freunde gewonnen hat. Er muss sich in den folgenden Jahren aber immer schmerzlicher bestätigt gefühlt haben, was er über Jahrzehnte angemahnt hat. Den letzten Klimabericht hat er nun nicht mehr lesen müssen.

Dieser verrückte Typ, der gern in alte Obstsorten biss, brachte Politiker mehr zum Nachdenken über Natur und Umwelt als die meisten der klassischen Naturschützer, zu denen ich mich eben auch zählen durfte.

Vertrat Ben Wagin nun den alternativen Natur- und Umweltschutz? Wohl nicht – er war aber mit seiner Kunst eine wichtige und eigentlich inzwischen unverzichtbare, spektakuläre Ergänzung. Er kannte das Artensterben, den Ökokollaps, das Leiden der Urwaldbewohner und die Herkunft der Stühle, auf denen wir sitzen und denken, und konnte mit seinen Mitteln etwas dagegenstellen. Er erdachte Kunstobjekte zum Spiel mit dem rückkehrenden Wasser, zum sanften Tourismus und ökologischem Wohnen, zur Gewinnung alternativer Energien, zu Pflanzenkläranlagen und zu einer „Urzelle für Selbstheilung“. Dieser „schrille Vogel“ hatte, als er nach der Kunst gefragt wurde, die er gern noch beherrschen würde, nur die Antwort:

“Den Gesang der Nachtigall“.

Dr. Hans-Jürgen Stork
NATURSCHUTZBUND