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Nachruf Jürgen Bachhuber

Er war ein Mann der Tat. Selten habe ich einen Menschen getroffen, der so beharrlich, mutig, entschlossen und dabei gleichzeitig so positiv und fröhlich war wie Jürgen Bachhuber. 

1938 auf Helgoland geboren, verbrachte er auf der Insel die ersten sieben Jahre seiner Kindheit. Exakt bis zum 28. April 1945, jenem Tag, an dem bei einem schweren Bombenangriff die gesamte Bebauung der Insel zerstört wurde. Ein halbes Jahr war die Familie zu Fuß durch Deutschland unterwegs, ehe sie endlich in Hamburg bei der Oma ein neues Zuhause fand. Dort machte er eine Fleischerlehre und dort wurde er auch das erste Mal mit dem Thema Tierschutz konfrontiert. Als er sich weigerte, einer damals gängigen Praxis zu folgen und Rinder über das Eindrücken des Augapfels und das schmerzhafte Verdrehen des Schwanzes auf dem Schlachthof zum „Vorwärtsgehen“ zu bewegen, bekam er Ärger mit seinen Vorgesetzten. Doch auch dies hinderte ihn nicht daran, seiner Überzeugung treu zu bleiben, niemals in quälerischer Weise Hand an Tiere zu legen. 

Bereits mit 29 Jahren machte sich Jürgen Bachhuber selbstständig. Er übernahm einen Betrieb in Berlin-Wilmersdorf, den er zunächst ganz konventionell betrieb. Doch bald schon sollte sich ein Umbruch einstellen, der sein Berufs- und Privatleben, aber auch das Fleischereihandwerk in Berlin nachhaltig veränderte. Während eines routinemäßigen Besuchs des Fleischmarktes traf sein Blick auf eine Ladung weißes Kalbfleisch. Damals das „Nonplusultra“. Die „1a-Ware“ schlechthin. Er griff zu und freute sich, seinen Kunden etwas so Gutes bieten zu können. Umso enttäuschter war er, als diese ihm mit Reklamationen kamen: Das Fleisch sei ausdruckslos gewesen, sagten sie, „strohig, einfach nicht schmackhaft.“ Bachhuber machte Bratproben und musste feststellen: Die Kunden hatten recht. Wie es seine Art war, ging er der Sache nach: Das holländische superweiße Kalbfleisch stammte aus übelster Massentierhaltung; die Bedingungen, unter denen die Tiere lebten, waren katastrophal. Also machte er sich auf die Suche nach Bauern und Händlern, die ihm und den Tieren Besseres bieten konnten. Er scheute weder Zeit noch Kosten, um an „anständige“ Ware zu kommen. Gern erzählte er von seinen Reisen nach Frankreich, wo er von kleinen Höfen und vorbei am Großmarkt einkaufte. Dass seine Kollegen diese Aktivitäten belächelten, dass im Vorstand oder im Werbeausschuss der Fleischerinnung, wo er sich ebenfalls engagierte, seine Ideen für zu aufwändig gehalten wurden und für zu teuer – all das hinderte ihn nicht. Er wusste, dass sein Weg richtig war. Und er stellte mit Genugtuung fest, dass bei den Kundinnen und Kunden die Zahl derer wuchs, für die naturnahe Landwirtschaft und artgerechte Tierhaltung von Bedeutung sind. Bei einem Besuch auf der Grünen Woche 1989 machte er eine folgenreiche Bekanntschaft, die seinen Einsatz für eine artgerechte Tierhaltung noch einmal verstärkte. Er traf auf Heiner Rahlfs und Jochen Dettmer vom Verein NEULAND, dem kurz zuvor gegründeten Verein für artgerechte und umweltschonende Nutztierhaltung.  NEULAND sollte als Gegenmodell zur industriellen Massentierhaltung aufgebaut werden. Ein Zusammenschluss von BUND, dem Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen, dem Deutschen Tierschutzbund, der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und der Verbraucherinitiative hatte diese Idee entwickelt: Keine Spaltenböden und Güllegruben, keine Knochenmehle und Hormonbehandlungen, keine Rüsselklammern und Nasenringe. Statt Anbindehaltung im Dunkelstall Tageslicht und freier Auslauf. Statt Futtermittel aus der weit entfernten sogenannten „Dritten Welt“ Nahrung auf der Basis heimischer Produkte. Der damals kleine Verein erntete auf der Grünen Woche mitleidiges Lächeln. Einer allerdings lächelte nicht: Fleischermeister Jürgen Bachhuber. Er verstand sofort, welche Chance sich dem Handwerk und dem Tierschutz bot. Kurz darauf stand sein Entschluss fest: „Da mache ich mit.“ 

Und er blieb dabei, auch als sich erste Schwierigkeiten auftaten: Probleme z. B. mit dem Transport zerlegter Tiere, denn die neu gegründete Vermarktungsinitiative hatte noch keine eigenen Kühlfahrzeuge. Auch hatten sich erst wenige Bauern zusammengeschlossen und Lieferengpässe waren nichts Ungewöhnliches. Weil NEULAND selbst kein Geld hatte, schickte Jürgen Bachhuber auf eigene Rechnung Fahrer ins niedersächsische Wendland, wo die Tiere herkamen. Und als Verlust an Kundschaft wegen der höheren NEULAND-Preise drohte, verschenkte er Schnitzel, Hack und Wurst als Proben. Die Kunden akzeptierten seinen Weg - ja mehr noch: Sie kamen aus allen Teilen Berlins. Sein Laden in der Güntzelstraße, zunächst Geheimtipp, wurde zum „Muss“. Auch als die Medien über ihn und NEULAND berichteten, sah Jürgen Bachhuber keinen Grund, sich zurückzulehnen. Denn mittlerweile hatte sich die Lage der Fleischerkollegen drastisch verschlechtert. Immer weniger konnten mit den Billigpreisen aus der industriellen Massentierhaltung, die die Supermärkte boten, mithalten. Bachhuber leistete Überzeugungsarbeit und half bei der Umstellung. Seinem Engagement ist es wesentlich zuzuschreiben, dass der Name NEULAND in wenigen Jahren das Synonym für artgerechte und umweltschonende Nutztierhaltung schlechthin wurde. 

Jürgen Bachhuber war eine unternehmerische Persönlichkeit, die das Risiko des Scheiterns nicht scheute. Seine Überzeugung war ihm wichtiger als der schnelle Profit. Für ihn war immer klar, dass Veränderungen in der Landwirtschaft nur dann dauerhaft sein würden, wenn es Nachfrage nach umweltfreundlich erzeugten Produkten gäbe. Jürgen Bachhuber hat seine Kunden erreicht, sie haben ihm zugehört und vertraut. Dank seiner Hilfe ist es gelungen, aus der Idee, die hinter NEULAND steht, ein funktionierendes, florierendes Unternehmen zu machen. Jürgen Bachhuber hat gezeigt, dass Tier- und Umweltschutz auch ökonomisch Sinn machen. Nicht nur NEULAND, auch die bäuerliche Landwirtschaft, das Fleischerhandwerk und ganz besonders wir Umwelt- und Naturschützer verdanken ihm viel. Für seine Leistungen wurde er 2003 mit dem Berliner Naturschutzpreis der Stiftung Naturschutz Berlin ausgezeichnet. Wir werden diesen zupackenden, mitreißenden, liebenswerten und optimistischen Mitstreiter sehr vermissen. Wenn wir uns seinen Mut, seine Beharrlichkeit und seinen ungeheuren Optimismus zum Vorbild nehmen, wird etwas von ihm bleiben.

Heidrun Grüttner