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Mit dem Hund unterwegs in der Stadtnatur

Interview mit Kristina Roth

Der Hund gilt als des Menschen bester Freund. Seit mindestens 15.000 Jahren, vermutlich sogar noch länger, leben Menschen mit Hunden Seite an Seite. Daran hat sich auch heute nichts geändert und so gehören Ausflüge mit dem Vierbeiner in die Natur für viele Menschen zum Alltag. Doch wie verhalten Sie sich hier als Hundehalter*in eigentlich richtig? Welche Regeln gelten in der deutschen Hauptstadt und warum? Wir haben bei Kristina Roth nachgefragt. Sie ist Stadtnatur-Rangerin bei der Stiftung Naturschutz Berlin, graduierte Wildnispädagogin, zertifizierte Stadtnaturführerin und ausgebildete Mensch-Hund-Beraterin.

Frau Roth, wie viele Hunde gibt es eigentlich in Berlin?

Eine ganze Menge! Im Jahr 2020 gab es in Berlin 117.227 gemeldete Hunde. Im Mai 2022 waren es dann schon rund 126.300 Hunde. Vergleicht man die aktuellen Zahlen mit dem Jahr 2018, dann sind innerhalb von knapp dreieinhalb Jahren über 18.500 Hunde in der Hauptstadt hinzugekommen. Tatsächlich dürfte es in Berlin aber sogar deutlich mehr Hunde geben und ihre Anzahl jedes Jahr weiter ansteigen.

Als Stadtnatur-Rangerin sind Sie im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg tätig und nehmen vielfältige Aufgaben wahr. Inwiefern ist dabei auch das Thema Hunde relevant?

Wir sind nahezu täglich in unseren Einsatzgebieten unterwegs und natürlich begegnen wir dabei auch regelmäßig Menschen, die ihren Hund ausführen. Läuft der Hund unangeleint herum, gehört es zu unseren Aufgaben, Hundehalter*innen auf ihr Fehlverhalten hinzuweisen, sie über die Konsequenzen für die Tier- und Pflanzenwelt aufzuklären und zu erläutern, warum das Einhalten der Leinenpflicht aus naturschutzfachlicher Sicht besondere Bedeutung hat.


„Jedes kleinste Stück Natur ist Lebensraum von Tieren und Pflanzen.“


Was macht die Leine denn so bedeutsam?

Freilaufende Hunde können in der Natur gravierende Störungen bis hin zu folgenschweren Schäden zu verursachen. Sei es aus tatsächlichem Jagdverhalten heraus oder aber durch pures Herumtollen in sensiblen Bereichen. Ich denke, viele dieser Störungen oder Schäden passieren einfach aus Unwissenheit. Daher ist es umso wichtiger, dass wir Stadtnatur-Ranger*innen die Menschen für unsere natürliche Umgebung sensibilisieren.

Sind Stadt, Natur und Wildtiere drei Dinge, die wir Menschen manchmal gar nicht so sehr miteinander verbinden?

Ja, ich glaube tatsächlich, dass vielen Menschen dieser Reichtum von Stadtnatur gar nicht bewusst ist. Wilde Tiere leben in den Augen vieler eher im Wald. Dabei ist jedes kleinste Stück Natur Lebensraum von Pflanzen und Tieren. Jede Nische ist besetzt und auch in Städten wie Berlin boomt um uns herum sozusagen wildes Leben. Hier gibt es unzählige Vögel, Amphibien, Insekten und natürlich Säugetiere wie Füchse, Kaninchen, Marder, Wildschweine, Waschbären und sogar Rehe und Feldhasen. Ihre Lebensräume sind durch die urbane Zergliederung und zunehmende Bebauung aber eher klein und von Straßen begrenzt. Unliebsame Begegnungen zwischen Hunden und Wildtieren sind dadurch wahrscheinlicher. Vor allem wenn der Hund nicht angeleint ist.

Wie können diese unliebsamen Begegnungen denn aussehen?

Es ist zunächst einmal wichtig zu wissen, dass bereits die Anwesenheit eines Hundes das Verhalten von Wildtieren beeinflusst. Für sie ist da nämlich ein potenziell gefährlicher und erfolgreicher Beutegreifer in der Nähe, dessen Urvater der Wolf ist. Die meisten wild lebenden Tiere ergreifen daher vor Hunden instinktiv die Flucht. Ist der Hund angeleint, wird ein aufgeschrecktes Wildtier nur so weit flüchten, bis es sich wieder sicher fühlt. Läuft der Hund frei und kommt es zu einer Jagd, erlebt das Wildtier den hetzenden Hund als tödliche Bedrohung. Diese Todesangst ist extremer Stress. Die Abend- und Nachtstunden sind ebenfalls keine Option, einen Hund unangeleint laufen zu lassen. Es gibt nachtaktive Arten wie den Igel, die immer wieder Opfer von Hundebissen werden. 

Sind auch Vögel in Gefahr?

Arten wie das Rotkehlchen oder die Nachtigall brüten am Boden beziehungsweise in Bodennähe. Durch stöbernde oder tobende Hunde droht die Gefahr, dass ihre Nester zerstört werden oder die Brut nach der Flucht der Altvögel von Fressfeinden entdeckt wird. Hinzu kommt, dass Vögel ihre Brutstätte aufgeben, wenn sie immer wieder von Hunden aufgescheucht werden und so in lebensbedrohliche Situationen geraten. Für bedrohte Arten ist dieser Verlust dramatisch.

Haben denn überhaupt alle Hunde einen Jagdtrieb?

Alle Hunde haben zumindest einen Jagdinstinkt, der genetisch angelegt und nicht veränderbar ist. Er dient dem Nahrungserwerb und damit der Sicherung des Überlebens.Das Jagdverhalten wiederum ist bei Hunden unterschiedlich ausgeprägt, je nachdem für welche Aufgaben eine Rasse ursprünglich gezüchtet wurde. Durch gezieltes Training lässt sich das Jagdverhalten vieler Hunde beeinflussen und lenken. Der Erfolg hängt aber davon ab, wie intensiv der Hund seinen Jagdinstinkt bisher ausleben konnte und wie häufig er die Jagd somit als selbstbelohnendes Verhalten erlebt hat. Je öfter das der Fall ist, desto schwieriger wird die Korrektur. Ich möchte noch zu bedenken geben, dass selbst das oft tolerierte Mäusebuddeln Jagdverhalten ist und hier verstärkend wirkt.


„Frühjahr und Frühsommer aber auch der Winter sind für Wildtiere besonders sensible Zeiten.“


Gibt es Jahreszeiten, in denen ich mit meinem Hund besonders vorsichtig sein sollte?  

Frühjahr und Frühsommer aber auch der Winter sind für Wildtiere besonders sensible Zeiten. Zur Brut- und Setzzeit, also von Anfang März bis Ende Juli, bekommen die meisten Tiere Nachwuchs. Vögel brüten jetzt und ziehen ihre Jungen groß, Fische und Amphibien laichen und auch bei vielen anderen Tieren stehen die Zeichen auf Nachwuchs und Aufzucht. Tierkinder sind besonderen Gefahren ausgesetzt. Sie sind verspielt, unerfahren und kennen die Gefahren des Lebens noch nicht. Dadurch können sie zu leichter Beute werden – auch für Hunde, wenn sie zum Beispiel Baue ausgraben oder frei jagen können. Schon kleine Verletzungen können schwere Infektionen auslösen. Aber selbst, wenn ein freilaufender Hund ein Jungtier nicht direkt verletzt, wird es womöglich von der Mutter getrennt, was im schlimmsten Fall ebenfalls einem Todesurteil gleichkommt. In der Brut- und Setzzeit ist also ganz besondere Rücksichtnahme auf unsere Mitgeschöpfe geboten.

Und im Winter?

Im Winter ist die Nahrung knapp und viele Tiere fahren deswegen ihren Stoffwechsel auf das Nötigste herunter. Müssen sie dann zu sportlichen Höchstleistungen auflaufen, denn nichts anderes ist die Flucht vor einem Hund, dann verbrauchen sie lebensnotwendige Energie, die sie wegen der Nahrungsknappheit nur schwer wieder auffüllen können. Auch flüchten die Tiere erst in letzter Sekunde und die Gefahr steigt, dass sie von Hunden gefasst, schwer verletzt oder gar getötet werden.

Was antworten sie Menschen, die sagen, ein stöbernder oder jagender Hund sei natürlich?

Ich höre dieses Argument tatsächlich öfter. In der Natur ist ein solcher Hund für die dort lebenden Tiere allerdings kein Alltag, kein natürlicher Feind, an den sie sich anpassen könnten. Das ist zum Beispiel bei einem angestammten Wolfsrudel ganz anders. Es lebt und jagt ständig in seinem Revier, ruht aus, zieht seine Jungen auf und wird für alle anderen Tiere einschätzbar. Das ist bei einem freilaufenden Hund auf Stippvisite in der Natur anders. Er ist in aller Regel nicht dauerhafter Bestandteil der wilden Lebensgemeinschaft und für Wildtiere eben nicht einzuschätzen. Störungen und Bedrohungen durch freilaufende Hunde sind zusätzlich zu den natürlichen Gefahren. Sie sind vermeidbar und unnötig.


„Urin führt zu direkten Schäden an Bäumen und Kot zu einer permanenten Überdüngung der Flächen.“


Können freilaufende Hunde auch für Pflanzen zu einem Problem werden?

Ja, das können sie. Lässt man Hunde zum Beispiel in Grünanlagen leinenlos herumtollen und tiefe Löcher in den Rasen buddeln, dann verwandeln sich einst grüne Wiesen langsam in eine löchrige Staublandschaft. Durch die Trittbelastungen und das Buddeln wird die Grünfläche also zusätzlich übernutzt. Pflanzen haben keine Möglichkeit mehr, sich zu regenerieren oder gar zu blühen und schlimmstenfalls können wertvolle Bestände weiter gefährdet oder gar komplette Pflanzenpopulationen kaputtgemacht werden. Das hat natürlich auch negative Auswirkungen auf die Insektenwelt.

Sind auch Urin und Kot schädlich für die Pflanzenwelt?

Urin führt zu direkten Schäden an Bäumen und Kot zu einer permanenten Überdüngung der Flächen. Für Pflanzen, die auf nährstoffarme Böden angewiesen sind, ist dieser Nährstoffeintrag das Aus. Doch gerade auf mageren Flächen wie dem seltenen Sandtrockenrasen findet sich eine ausgesprochene Artenvielfalt mit vielen geschützten und bedrohten Pflanzen, deren Verschwinden ein enormer Verlust ist. Auch für die Insekten, die auf diese Pflanzen angewiesen sind. Führe ich meinen Hund an der Leine, habe ich mehr Einfluss darauf, wo er sein Geschäft erledigt. Der Hundekot kann eingesammelt und in der nächsten Mülltonne entsorgt werden. Aber bitte schauen Sie sich vorher um, ob es Mülleimer gibt. Es ist keine Option, die gefüllten Kotbeutel in der Landschaft zu entsorgen oder an Schutzzäunen zu befestigen.

Viele Hunde lieben den Sprung ins Wasser. Worauf sollten Hundehalter*innen dabei achten?  

Uferzonen sind generell besonders sensible Bereiche. Sie bieten Wasservögeln Raum zum Rasten und Brüten und oft halten sich im Schilf und besonders auch im berlinweit geschützten Röhricht Jungvögel auf. Dazu kommt, dass Amphibien an Uferzonen ihren Laich ablegen und Jungfische hier Schutz finden. Durch badende Hunde kann Laich zerstört werden und der Fischnachwuchs muss die schützende Deckung verlassen und wird so schnell zur Beute. Grade Amphibien gehören zu den am meisten bedrohten Artengruppen weltweit. Auch in Berlin gehen die Bestände dramatisch zurück, so dass jeder negative Einfluss hier extreme Schäden zur Folge hat. Einzäunungen im Uferbereich wie beispielsweise am Grunewaldsee sollten unbedingt respektiert werden. Hingegen ist man an ausgewiesenen Hundebadestellen in jedem Fall auf der sicheren Seite. Sie werden viel genutzt und sind in aller Regel nicht bewachsen. Wildtiere meiden diese Stellen zumeist, weil sie an eine hohe Frequentierung durch Hunde gewohnt sind.

Welche Regeln gelten eigentlich im Land Berlin in Bezug auf die Leine?

In Berlin gilt eine allgemeine Leinenpflicht. Sie ist im „Gesetz zur Neuregelung des Haltens und Führens von Hunden in Berlin“ in Verbindung mit der „Verordnung zur Durchführung des Hundegesetzes“ verankert und gilt seit dem 1. Januar 2019. Einfach ausgedrückt bedeutet das, dass Hunde außerhalb der Wohnung oder eines gesicherten Grundstücks immer angeleint sein müssen. Es sei denn, das Ableinen ist explizit erlaubt, zum Beispiel in ausgewiesenen Hundeauslaufgebieten.

Gibt es dahingehend auch Ausnahmen?

Ja. Wurde der Hund bereits vor Inkrafttreten des „Berliner Hundegesetzes“, also vor Juli 2016 angeschafft und blieb bis dato unauffällig, darf dieser auf unbelebten Straßen und Plätzen sowie auf Brachflächen frei laufen. Für später angeschaffte Hunde kann man diese Freiheit durch Ablegen einer Sachkundeprüfung erreichen. Weitere Ausnahmen gelten zum Beispiel für Assistenzhunde. Aber Achtung: In öffentlichen Grünanlagen und in Wäldern gilt für alle Hunde die Leinenpflicht. Denn hier greifen zusätzliche rechtliche Regelungen wie das Grünanlagengesetz und das Landeswaldgesetz. Ausnahmen bilden hier nur die für den Freilauf ausgewiesenen Flächen. Ein grundsätzliches Hundeverbot gilt auf Spielplätzen, an öffentlichen Badestellen, in Badeanstalten und auf gekennzeichneten Liegewiesen.


„Jede spannende Interaktion zwischen Hund und Halter*in fördert den Hund und auch die Bindung zum Menschen.“


Einige Menschen empfinden die Leinenpflicht als nicht artgerecht. Wie sehen Sie das?

Ich verstehe diese Argumentation und teile diese Auffassung bis zu einem gewissen Grad. Denn mit einer ausnahmslosen Leinenpflicht ohne Alternativen zum Freilauf kann man den meisten Hunden aus meiner Sicht nicht gerecht werden. Sie brauchen Bewegung, den freien Kontakt zu Artgenossen und müssen ihr Erkundungsverhalten ausleben. Hier ist die Politik gefordert, genügend Flächen entsprechend der jeweiligen Hundedichte zur Verfügung zu stellen. Allerdings liegt es auch in der Verantwortung der Hundehalter*innen, den Tieren ein möglichst artgerechtes Leben zu ermöglichen und sich dennoch an Regeln zu halten. Das fängt für mich bereits bei der Wahl des Hundes an. Ein Beispiel: Wenn ich selbst wenig Spaß an körperlicher Bewegung habe, dann ist für mich ein bewegungsfreudiger Hund schlicht ungeeignet. Bietet das direkte Wohnumfeld nicht genügend Möglichkeiten für den Freilauf, kann dieses Defizit durch mentale Auslastung zumindest teilweise ausgeglichen werden. Jede spannende Interaktion zwischen Hund und Halter*in fördert den Hund und auch die Bindung zum Menschen. Regelmäßige Ausflüge in ein Auslaufgebiet sollten im Alltag eingeplant werden. Möglichkeiten zur sportlichen und geistigen Auslastung bieten sich auch durch Agility Training oder Rallye Obedience an. Geistig gefördert werden Hunde auch durch das Erlernen von Kunststückchen. Machen Sie die (Stadt-)Spaziergänge mit Ihrem Hund zu spannenden Abenteuern und lassen Sie Ihren Hund immer wieder ausgiebig schnüffeln. Das geht auch angeleint. Unsere Hunde sind sehr anpassungsfähig und das wichtigste in ihrem Leben sind ihre Menschen. Deshalb sollte die Leine nicht ausschließlich reglementierend wahrgenommen werden. Sie bietet Sicherheit und Schutz, sowohl für den Hund als auch für die Umgebung. Richtig eingesetzt ist sie ein Band des Vertrauens.

Welche Möglichkeiten gibt es in Berlin, um Hunde artgerecht auszulasten?

In den Berliner Wäldern existieren 12 offizielle Auslaufgebiete mit einer Gesamtfläche von ca. 1.220 Hektar. Das ist ein recht einmaliges Angebot in einer Millionenmetropole. Waldspaziergänge mit dem abgeleinten Hund sind in diesen Auslaufgebieten erlaubt, so dass Hunde viele ihrer Bedürfnisse ausleben können. Sie haben Gelegenheit, ihre Umgebung zu erkunden, Artgenossen zu begegnen, herumzutollen und vieles mehr. Bedenken sollte man aber natürlich, dass auch diese Auslaufgebiete Lebensraum für Wildtiere und Pflanzen sind. Das bedeutet, dass der Hund jederzeit abrufbar sein muss, ansonsten gehört er auch hier an die Leine. Wildtiere dürfen nicht gehetzt oder gejagt werden. Es gibt innerhalb mancher Auslaufgebiete eingezäunte Bereiche und Naturschutzgebiete. Diese gehören nicht zur Freilauffläche. Auslaufgebiete sind kein Freibrief für schlechtes Benehmen! Vielmehr sorgen Rücksichtnahme auf Natur und andere Erholungssuchende für ein harmonisches Miteinander und nehmen „Hundegegnern“ den Wind aus den Segeln. Wohnt man nicht in der Nähe eines größeren Auslaufgebiets bieten gesicherte Hundeplätze die Möglichkeit, dem Hund Freilauf und Kontakt mit Artgenossen zu ermöglichen. In vielen Parkanlagen finden sich solche Bereiche, wobei diese Angebote durchaus noch ausbaufähig sind.

Vielen Dank für das Interview, Kristina Roth.


- Das Interview führte Natascha Wank