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Gläserne Gefahr

Für zahlreiche Vögel hat im Herbst wieder die Reise in wärmere Gefilde begonnen. Auf der Suche nach einem geeigneten Winterquartier und ausreichend Nahrung machen sich dann zum Beispiel Kraniche und Stare auf in Richtung Südeuropa und an das Mittelmeer. Mauersegler, Schwalben oder die Nachtigall zieht es sogar bis nach Afrika in Gebiete südlich der Sahara. Dort bleiben sie, bis sie schließlich im Frühjahr wieder zu uns, in ihre Brutgebiete, zurückkehren.

Viele Gefahren lauern auf dem Weg, den sowohl Alt- als auch Jungvögel zurücklegen. Großflächige Glasfassaden zum Beispiel. Die werden den Tieren vor allem in Metropolen wie Berlin zum Verhängnis, wenn sie die Städte und ihre Randbereiche auf ihrer Wanderung durchqueren oder zur Rast nutzen. Doch nicht nur Zugvögel trifft es. Der anhaltende Trend zu überdimensionalen Glaselementen in der modernen Architektur ist das ganze Jahr über ein signifikanter Gefährdungsfaktor für viele Vogelarten.

Die Berliner Senatsverwaltung schätzt, dass allein in der deutschen Hauptstadt jedes Jahr 4 Millionen Vögel sterben, weil sie gegen Glasscheiben fliegen. Deutschlandweit sind es nach Schätzungen der Staatlichen Vogelschutzwarten jährlich bis zu 115 Millionen Vögel, die durch Vogelschlag, also die Kollision mit Glas, ums Leben kommen dürften. Das entspricht etwa 5-10 % der Vogelindividuen, die in Deutschland vorkommen.   

Glasfassaden scheinen durch diesen sehr hohen Sterblichkeitsfaktor einen erheblichen Einfluss auf das Verschwinden von Vogelarten in Deutschland und ganz Europa zu haben. Denn vielfach trifft es auch Arten, deren Populationen bereits stark gefährdet sind. Besonders tragisch ist es, wenn ein Elternvogel während der Brutzeit dem Glastod zum Opfer fällt. Dann ist der Nachwuchs in Gefahr, weil er nicht mehr für die Jungtiere sorgen kann. 

Tödliche Täuschung

Aber warum fliegen Vögel überhaupt gegen Glasscheiben? Zum einen liegt das daran, dass sie transparentes Glas nicht als Hindernis wahrnehmen. Die Vögel vermuten schlichtweg eine freie Flugbahn und prallen dann ungebremst gegen die Scheibe. Vor allem freistehende Glaswände mit einer Durchsicht, wie wir sie etwa von verglasten Gebäudeecken, Gewächshäusern, verglasten Balkonbrüstungen oder gläsernen Wartehäuschen für Bus und Bahn kennen, stellen ein großes Problem dar.

Reflexionen, die durch Sonnenschutzverglasungen zusätzlich verstärkt werden, sind ein ganz wesentlicher Grund für Vogelschlag. Durch die Spiegelungseffekte werden den Vögeln in der Scheibe zum Beispiel die Silhouetten von Bäumen oder der freie Himmel vorgetäuscht. Insbesondere großflächig verglaste Gebäude, die in unmittelbarer Nähe zu Sträuchern, Bäumen, Grünanlagen oder auch Flüssen stehen, steigern das Risiko für Vogelschlag nochmal ganz erheblich.

Zugvögel wie die Nachtigall oder die Grasmücken, die vorzugsweise in der Nacht fliegen, sind durch Glasfassaden übrigens nicht weniger gefährdet. Sie werden in der Dunkelheit selbst aus größerer Entfernung vom Licht angelockt oder in die Irre geführt, sodass ihnen vor allem beleuchtete Glasfronten in hohen Gebäuden zum Verhängnis werden können.

Kaum Überlebenschancen

Da Vögel in der Regel mit hohen Geschwindigkeiten, teilweise sogar mit bis zu 60 Stundenkilometern, gegen Glasfassaden fliegen, sind die Überlebenschancen nach einem Aufprall gering. Etwa 50-75 % der Tiere sterben unmittelbar bei der Kollision, weil sie dabei zum Beispiel einen Genickbruch erleiden.

Der Großteil der Vögel, der eine Kollision mit Glasscheiben zunächst überlebt, fällt bewusstlos zu Boden und verendet wenig später an den schweren Verletzungen. Selbst wenn sich die Vögel vom Anprall erholen, können Knochenbrüche dazu führen, dass sie nicht mehr flugfähig sind. Fressfeinden wie Katzen, Füchsen oder Krähen sind die Tiere dann schutzlos ausgeliefert oder sie verhungern schlichtweg, weil sie nicht mehr auf Nahrungssuche gehen können.

Glasanprall ist vermeidbar  

Um Vogelanprall zu verhindern, wird im Idealfall bereits bei Neubauprojekten auf eine vogelfreundliche Architektur gesetzt. Das ist möglich, wenn beispielsweise architektonische Stilelemente wie die Lochfassade zum Einsatz kommen und große zusammenhängende Glaselemente gar nicht erst geplant werden. Zumindest aber sollten zum Schutz der Vögel Durchsichten vermieden, Spiegelungen durchbrochen und auf eine nächtliche Beleuchtung verzichtet werden.

Bereits bestehende Gebäude mit einem erhöhten Risiko für Vogelanprall lassen sich mittlerweile einfach nachrüsten, indem Folien mit geprüften Vogelschutzmustern auf die Scheiben geklebt werden. Sie machen das Glas für Vögel sichtbar. Vor allem kleine Streifen oder Punkte haben sich als sehr nützlich erwiesen. Sie schützen auch kleine Singvögel, die überproportional häufig von Vogelschlag betroffen sind. Beispiele aus Berlin finden Sie in der Broschüre "Vogelschutz und Glasarchitektur im Stadtraum Berlin" vom BUND für Umwelt und Naturschutz Deutschland. 

Anders als lange angenommen hilft es leider nicht, die Scheiben mit schwarzen Vogelaufklebern nachzurüsten. Vögel erkennen die Silhouette nicht als natürlichen Feind, vor dem sie flüchten müssen. Oft kommt es sogar vor, dass die Tiere direkt neben den Aufklebern gegen die Scheibe fliegen.

Auf Spurensuche in Berlin

Trotz der Möglichkeiten, eine der häufigsten menschengemachten Todesursachen für Vögel zu verhindern, gibt es auch in Berlin noch immer zahlreiche Gebäude, die mit ihren großen Glasfassaden zum Vogelschwund in Deutschland beitragen. Auch viele Neubauten werden nach wie vor ohne ausreichende Schutzmaßnahmen gegen Vogelanprall realisiert, weil es zum Beispiel noch keine verbindlichen Regelungen in der aktuellen Baugesetzgebung gibt. 

Als Stadtnatur-Ranger*innen setzen wir uns daher in enger Zusammenarbeit mit den Unteren Naturschutzbehörden und der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz für die Umsetzung nachträglicher Vogelschutzmaßnahmen an risikoreichen Bauwerken ein. So sind wir – neben weiteren Berliner Akteur*innen, die viele Stunden in die Suche und Dokumentation problematischer Standorte investieren – derzeit in zwei Berliner Bezirken aktiv. Dort untersuchen wir regelmäßig im Frühling und im Herbst zur Zeit des Vogelzugs Gebäude mit großflächigen Glasfassaden auf Spuren von Vogelanprall.

Aufschluss über Kollisionen geben uns zum Beispiel Talgabdrücke sowie Federn und Kotspritzer, die sich an den Scheiben mit bloßem Auge oder aber mit Hilfe eines Fernglases erkennen lassen. Am Boden entlang der Gebäude suchen wir außerdem nach verletzten oder toten Vögeln und schauen nach Hinweisen wie Federresten. Solche „Überbleibsel“ sind wertvolle Indizien, wenn ein Vogel bereits durch andere Tiere gefunden wurde.

Die Dokumentation unserer Erkenntnisse ist schließlich Grundlage für die Unteren Naturschutzbehörden, in Kontakt mit den Gebäudeeigentümer*innen zu treten, sie über Vogelschlag aufzuklären und Maßnahmen einzuleiten, die Vogelschlag an den Bauwerken zukünftig verhindern. Die rechtliche Basis dafür bildet das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG). Denn erhöht sich durch Glasschlag das signifikante Tötungsrisiko für Vögel, liegt ein Verstoß vor und Eigentümer*innen können zur Nachrüstung an Gebäuden verpflichtet werden.

Mithelfen und Vögel schützen

Dass Vögel gegen Scheiben fliegen, kann leider auch zu Hause vorkommen. Wir bitten Sie daher, aufmerksam zu sein und häufig betroffene Scheiben nachträglich für Vögel sichtbar zu machen. Unterschiedliche Ideen, wie das gelingt, haben die Berliner Spatzenretter in der Broschüre „Sichere Fenster für unsere Vögel“ zusammengestellt. Hier finden Sie auch eine hilfreiche Anleitung, wie Sie einem Vogel helfen können, der gegen eine Scheibe geflogen und verletzt ist. 

Bitte helfen Sie auch mit, risikoreiche Glasfassaden in der Stadt zu lokalisieren und melden Sie Funde von Vögeln, die mit einer Scheibe kollidiert sind, dem ArtenFinder Berlin. Ihre Daten stehen den Berliner Naturschutzbehörden und uns als Stadtnatur-Ranger*innen tagesaktuell zur Verfügung. Meldungen sind auch über den BUND Berlin möglich. Zudem finden Sie auf dieser Seite den Link zum Global Bird Collision Mapper (GBCM), über den Sie Funde verunglückter Vögel weltweit eintragen können. Vielen Dank für Ihre Unterstützung!

- Natascha Wank & Ina Müller