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Die Riesen der Hauptstadt

Frank Schneider ist als Stadtnatur-Ranger im Berliner Bezirk Lichtenberg unterwegs. Auf unserem Blog verrät er uns Spannendes und Wissenswertes über unsere Stadtbäume, die grünen Riesen der Hauptstadt.

Herr Schneider, welcher Berliner Stadtbaum wären Sie gerne und warum?

Ich wäre gerne eine Trauerweide. Sie hat einen bewundernswerten Lebenswillen. Am Anfang ist da nur ein kleiner Strauch und in kürzester Zeit wächst er zu einem prächtigen Baum heran. Und dann, im Alter, brechen die Stämme der Trauerweide einfach auseinander. Das ist aber noch lange nicht ihr Tod, weil aus den Stämmen am Boden wieder neue saftige Triebe nach oben sprießen. Der prächtige Baum wird also wieder ein Strauch und so weiter. Ich glaube fast, dass Trauerweiden ewig leben.

Im Gegensatz zur Trauerweide ist es in Berlin aber vor allem die Linde, die das Stadtbild prägt, oder?

Das ist richtig, Berlin ist die Stadt der Linden. In der Hauptstadt gibt es rund 431.000 Straßenbäume und die verschiedenen Arten der Linde machen den größten Anteil unter ihnen aus.

Welche anderen Baumarten sind in der Stadt denn noch zu finden?

Neben den Linden sind es vor allem Ahorne. Außerdem sind entlang der Straßen viele Eichen, Platanen, Kastanien, Birken und Robinien zu finden.  

Insbesondere in Städten kommen den Bäumen wichtige Funktionen zu. Können Sie uns die Wichtigsten nennen?

Wir Menschen profitieren von den Bäumen im städtischen Raum zum Beispiel, weil sie eine natürliche Klimaanlage sind. Bäume verdunsten riesige Mengen Wasser über ihre Blätter. So entsteht Verdunstungskälte, durch die sich die Luft abkühlt. Deswegen und aufgrund der Sauerstoffproduktion werden größere Parks und Wälder in Städten auch zurecht als grüne Lungen bezeichnet. Bäume haben aber auch eine wichtige Filterfunktion, weil Rauch, Staub und Autoabgase an den Blättern und Zweigen hängen bleiben. Nicht zuletzt haben Bäume im Stadtbild auch eine hohe ästhetische Funktion und – das wird häufig unterschätzt – sie wirken sich positiv auf unser seelisches Wohlbefinden aus.

Welche Herausforderungen haben Berliner Stadtbäume heute zu meistern?

Besorgniserregende Entwicklungen für unsere Stadtbäume sind die extremen Temperaturen und die lange anhaltenden Trockenperioden, die sich immer häufiger vom Frühjahr bis in den Spätsommer ziehen. Vor den größten Herausforderungen stehen aber wohl die Straßenbäume. Das liegt vor allem an den schlechten Bodenverhältnissen. In Berlin sind weite Teile der Stadtfläche versiegelt und Regenwasser kann nicht gleichmäßig im Boden versickern. Besonders in Trockenperioden hat das zur Folge, dass die Bäume nicht ausreichend mit Wasser versorgt werden. In verdichteten Böden haben es auch die empfindlichen Wurzeln schwer, sich zu entwickeln und zu atmen. Für die Bäume bedeutet das Stress. Die Wurzel ist das wichtigste Organ, sozusagen das Herz eines jeden Baumes. Sie braucht Platz, um sich entfalten zu können. Hinzu kommen stark erhitzte Beton- und Asphaltflächen, Luftverschmutzungen durch Autoabgase und Industrie oder Belastungen durch übermäßige Streusalznutzung im Winter. Ein Berliner Straßenbaum hat all das auszuhalten. Er kann nicht einfach weg. Er ist nun mal fest verwurzelt.

Und welche Rolle spielen die Bedürfnisse nach mehr Wohnraum und neuer Infrastruktur?

Auch das sind natürlich Faktoren, die für unsere Bäume gravierend sind. Immer wieder müssen Bäume dringend benötigten Parkplätzen weichen oder werden gefällt, weil sie beim Bau eines Hauses im sogenannten Baukörper stehen. Selbst wenn bei Bauarbeiten nur eine große Wurzel durchtrennt wird, ist der Baum nicht in der Lage sie zu regenerieren. Eine Verletzung der Wurzel bedeutet immer eine Schwächung des gesamten Baumes.

Unseren Bäumen geht es also nicht gut…

Es geht ihnen nicht gut und es geht ihnen immer schlechter. Seit 1979 werden zum Beispiel die Baumkronen untersucht, um den Gesundheitszustand der Berliner Straßenbäume zu beurteilen. Aus ihrem Zustand lassen sich dann Aussagen über die Vitalität der Bäume ableiten. 2015 wurde der letzte Berliner Straßenbaum-Zustandsbericht1 veröffentlicht. Der macht deutlich, dass knapp die Hälfte der Straßenbäume mehr oder weniger geschädigt sind. Noch dramatischer lesen sich die Zahlen des Waldzustandsberichts für Berlin von 2019. Laut dieser Studie weisen 9 von 10 Bäumen im Berliner Wald Schäden auf. Das ist mit Bestimmtheit auf die extrem trockenen Sommer der letzten Jahre zurückzuführen. Und es sind Witterungseinflüsse, die  sicherlich auch ihrer Spuren an den Stadtbäumen hinterlassen haben. Viele Bäume haben auch im letzten Jahr wieder unter der Trockenheit gelitten. Spannend wird es im kommenden Frühjahr. Dann können wir erkennen welche Bäume nicht mehr austreiben und abgestorben sind. Oder welche Bäume vermehrt Totholz gebildet haben. Die Reaktion eines Baumes auf schlechte Standortsbedingungen ist immer ein wenig zeitversetzt. Aber eins dürfte klar sein: der Zustand unserer Bäume wird sich in den nächsten Jahren nicht verbessern, sondern eher verschlechtern.

Wie können wir eigentlich durstige Bäume erkennen?

Bäume reagieren nicht anders als unsere Zimmerpflanzen. Sie lassen bei massivem Trockenstress einfach ihre Blätter hängen. Hält die Trockenheit über einen längeren Zeitraum an, dann verfärben sich die Blätter immer mehr und am Ende werden sie abgeworfen. Ein beeindruckendes Phänomen der Bäume ist, dass sie ganze, noch begrünte Äste abwerfen können. Das nennt man dann Grünastbruch.

Wer kümmert sich um die Berliner Stadtbäume?

Für einen Baum ist immer der jeweilige Grundstücksbesitzer verantwortlich. Da die meisten Berliner Bäume den Bezirken gehören, sind sie es, die unsere Stadtbäume pflegen und dafür sorgen, dass sie nicht zu einer Gefahr für uns Menschen werden. Anders sieht es bei den Bäumen in den Berliner Wäldern aus. Für sie sind die Berliner Forsten zuständig. Grundsätzlich stehen in Berlin alle Laubbäume unter Schutz, im öffentlichen und auch im privaten Bereich. Die entsprechende Baumschutzverordnung regelt außerdem, unter welchen Voraussetzungen ein Stadtbaum ausnahmsweise gefällt werden darf.  Oft sind die Verantwortlichen dann verpflichtet, neue Bäume an anderer Stelle als Ersatzmaßnahme zu pflanzen. Bäume, die in Wäldern, Schutzgebieten, Grünanlagen oder im Bereich von Gartendenkmalen wachsen, betrifft die Baumschutzverordnung übrigens nicht. Auch Obstbäume, mit Ausnahme von Walnuss und Türkischer Baumhasel, sind nicht geschützt.

Welche Aufgaben übernehmen denn die Stadtnatur-Ranger*innen für den Schutz und Erhalt der Stadtbäume?

Unser wichtigster Aufgabenbereich ist die regelmäßige Gebietsbegehung. Während wir unterwegs sind, dokumentieren wir Veränderungen im Gebiet und schauen uns auch die Stadtbäume genau an. Stellen wir dann zum Beispiel Vitalitätseinbußen oder neue Anfahrschäden fest, melden wir sie an das zuständige Bezirksamt. Das leitet dann entsprechende Pflegemaßnahmen ein. Wir werden als Stadtnatur-Ranger*innen außerdem bei der naturschutzfachlichen Beurteilung von Bäumen einbezogen. Im Bezirk Lichtenberg untersuchen wir zum Beispiel regelmäßig Bäume, die gefällt werden sollen, auf ökologisch wichtige Nist- beziehungsweise Brutstätten. So vermeiden wir, dass diese durch das Fällen zerstört werden. Es gibt dann die Möglichkeit, einen Reststamm stehen zu lassen, der als wertvolles Biotop für Vögel, Fledermäuse und Insekten dient. Im Gespräch mit Bürger*innen oder bei Naturführungen informieren wir außerdem über den Zustand der Bäume und was jede*r von uns tun kann, um sie zu erhalten.

Was können wir alle denn tun?

Ich finde es besonders wichtig, achtsam zu sein. Auf dem Weg zur Arbeit oder während wir mit Freunden im Park sitzen öfter mal nach oben zu schauen und die Bäume um uns herum bewusst auf uns wirken lassen. Wir dürfen den Blick für ihren Zustand nicht verlieren. Dass sich immer mehr Bürgerinitiativen bilden, die Stadtbäume in regelmäßigen Abständen gießen, finde ich zum Beispiel richtig toll und freut mich sehr. Für uns als Stadtnatur-Ranger*innen ist es übrigens eine wichtige Aufgabe, die Begeisterung für die Berliner Stadtnatur und damit auch für die Stadtbäume zu wecken. Zum Beispiel im persönlichen Gespräch mit den Bürger*innen oder im Rahmen unserer Ranger-Führungen.

Gibt es etwas, das wir Menschen von unseren Stadtbäumen lernen können?

Bäume zeigen uns sehr eindrücklich, wie abhängig wir Menschen von einem funktionierenden Ökosystem sind. Naturzerstörung, Umweltverschmutzung und das damit verbundene Artensterben haben negative Auswirkungen auf die Gesundheit unserer Bäume und damit auch auf unser Leben. Bäume zeigen uns zudem ganz deutlich, dass wir einmal zerstörtes nicht so einfach wiederbekommen. Wir können keine Natur kaufen oder industriell herstellen. Natur und Bäume müssen wachsen und sich entwickeln. Das braucht Zeit. Eine 300 Jahre alte Eiche, die wir heute fällen, werden wir an dieser Stelle und in dieser Pracht nie wiedersehen. Auch unsere Enkelkinder nicht. Bis eine neu gepflanzte Eiche 300 Jahre alt ist, vergehen nun mal 300 Jahre. Daher ist das Fällen alter Bäume auch so ein wahnsinnig großer Verlust. Und es ist besonders wichtig, gerade diese alten Riesen und mit ihnen die zahlreichen an sie gebundenen Lebewesen wie Moose, Flechten und Insekten zu erhalten.

Das Interview führte Natascha Wank.

Berliner Straßenbäume – Wissenswerte Zahlen auf einen Blick

  • Anzahl Straßenbäume: Rund 431.000 (Stand 2019)
  • Die häufigsten Straßenbaumgattungen: Linde (37%), Ahorn (20%), Eiche (9%), Platane (6%), Kastanie (5%)
  • Durchschnittliche Anzahl Straßenbäume pro Straßenkilometer: 80 Bäume
    (Höchste Bestandsdichte mit 104 Bäumen pro Kilometer in Charlottenburg-Wilmersdorf; geringste Bestandsdichte mit 56 Bäumen pro Kilometer in Spandau)

Quelle: Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz
https://www.berlin.de/senuvk/umwelt/stadtgruen/stadtbaeume/de/daten_fakten/uebersichten/index.