Derk Ehlert, sag doch mal!

Vielleicht ist es Ihnen in diesen Tagen beim Spaziergang durch die Berliner Parks und Grünanlagen schon aufgefallen: Warnschilder, Absperrbänder – und manchmal ein mulmiges Gefühl beim Blick auf knorrige Eichen. Der Eichenprozessionsspinner ist wieder da. Klingt eigentlich erstmal harmlos: ein kleiner Nachtfalter, der auf Eichen lebt. Aber das Problem sind nicht die Falter – sondern ihre Raupen. Die ziehen sich nämlich, wenn’s wärmer wird, in langen „Prozessionen“ über die Bäume. Ab dem dritten Larvenstadium tragen sie feine Brennhaare, die ein Gift namens Thaumetopoein enthalten. Dieses Eiweiß sorgt bei uns Menschen für unangenehme Reaktionen: Hautausschläge, Juckreiz, gereizte Augen – in schlimmeren Fällen auch Atemnot. Und: Die Härchen sind leicht – sie schweben mit dem Wind durch die Luft und bleiben an Kleidung, Tierfell oder Picknickdecken hängen. 

Der Eichenprozessionsspinner stammt ursprünglich aus Südeuropa und hat sich im Zuge der Klimaerwärmung zunehmend auch in Mitteleuropa – und auch in Berlin – ausgebreitet. Durch die milderen Winter und warmen Frühjahre konnte er sich hier dauerhaft etablieren. Dabei ist er ein Teil des natürlichen Systems: Viele Vögel, etwa Meisen und vor allem Kuckucke, fressen die Raupen gern – auch trotz der Brennhaare.

In diesem Sommer scheint es tatsächlich wieder mehr Meldungen zu geben – aber ob es wirklich signifikant mehr Eichenprozessionsspinner sind, lässt sich schwer sagen. Die Sommer 2023 und 2024 waren vergleichsweise kühl. Bei solchen Temperaturen bleiben die Tagesnester der Raupen hoch oben in der Baumkrone, weil es dort wärmer ist. Für uns sind sie dann kaum sichtbar, was zu weniger Meldungen führt – obwohl die Tiere möglicherweise trotzdem da waren. Anders in diesem Jahr: Der Frühling und Sommer 2025 sind deutlich wärmer und trockener. Das führt dazu, dass die Nester tiefer an den Stämmen sitzen – somit sind die leichter sichtbar und werden häufiger gemeldet. Auch die Aktivität der Raupen steigt bei Wärme. Sie fressen nachts oben in den Kronen und ziehen sich tagsüber in die Nester zurück. Aufgrund der günstigen Bedingungen kann man davon ausgehen, dass die Population tatsächlich höher ist – sicher sagen lässt sich das aber nicht, da uns vergleichbare Daten aus ähnlich warmen Vorjahren fehlen.

Bäume – insbesondere Eichen – sind grundsätzlich auf den Raupenfraß vorbereitet. Gesunde Bäume reagieren mit dem sogenannten Johannistrieb (ein kompensierender Neuaustrieb im Sommer), durch den sie die verlorene Blattmasse teilweise wieder ersetzen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Bäume gesund sind. Viele Stadtbäume in Berlin sind jedoch bereits vorgeschädigt – durch Trockenstress, Krankheiten, verdichtete Böden oder mangelnde Pflege. Diese Bäume können den zusätzlichen Stress durch den Raupenfraß oft nicht mehr ausgleichen.

Bald ist der Spuk vorbei, denn in wenigen Wochen verpuppen sich die Raupen. Dann verlieren die gefährlichen Brennhaare ihre Wirkung, und aus den Puppen schlüpfen die unscheinbaren Nachtfalter. Sie leben nur ein paar Tage, fressen nicht und haben nur ein Ziel: neue Eier an geeigneten Eichen abzulegen. Dann beginnt der Zyklus von vorn – aber bis dahin heißt es: achtsam bleiben, aber auch nicht in Panik verfallen. Hier meine Tipps aus vielen Jahren Stadtnatur-Erfahrung:

  1. Absperrungen ernst nehmen. Auch wenn’s nervt – gesperrte Wege und Wiesen meiden!
  2. Nicht anfassen! Keine Nester aufkratzen, keine Raupen berühren – auch nicht „nur mal gucken“.
  3. Lange Kleidung tragen, wenn Sie in betroffenen Gebieten unterwegs sind. Und: Kleidung zu Hause direkt wechseln und waschen.
  4. Hunde an die Leine. Denn die Haare bleiben auch am Fell haften und können dann in die Wohnung gelangen.
  5. Bei Symptomen zum Arzt. Wenn’s juckt, brennt oder sich andere allergische Symptome wie Atemnot zeigen – bitte nicht warten!

So paradox es klingt: Der Eichenprozessionsspinner ist Teil unserer heimischen Fauna. Und trotzdem müssen wir handeln, wenn’s um unsere Gesundheit geht. Berliner Fachfirmen entfernen die Nester inzwischen professionell – ohne Chemie, oft mit speziellem Sauggerät.

Also: Augen auf beim Parkbesuch – und trotzdem weiter raus ins Grüne. Denn trotz allem bleibt Berlin eine echte Stadtnatur-Oase.

Bis bald draußen
Ihr Derk Ehlert

Derk Ehlert ist Berlins Wildtierexperte und kümmert sich bei der Senatsumweltverwaltung um alles, was kreucht und fleucht. Ob Füchse am Kanzleramt oder Waschbären in der Mülltonne – er kennt die wilden Bewohner der Stadt wie kein Zweiter und bringt Licht ins Dickicht der Stadtnatur.